Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter
der Geburt, des ersten Jahres und in jedem weiteren Jahr, das folgt. Man macht sich Sorgen, wenn sie mit dem Bus unterwegs sind, eine Straße überqueren, Fahrrad fahren, auf Bäume klettern … In Zeitungen liest man Artikel über schreckliche Dinge, die Kindern zustoßen, und man bekommt Angst. Und die geht nie weg.«
»Ich weiß.«
»Und dann denkt man, dass sie viel zu schnell groß werden, und plötzlich hat man nichts mehr zu sagen. Man will, dass sie den perfekten Freund und den idealen Ehemann finden. Man will, dass sie ihren Traumjob bekommen. Man will sie vor jeder Enttäuschung und jedem Liebeskummer bewahren, aber man kann es nicht. Man hört nie auf, Vater oder Mutter zu sein. Man hört nie auf, sich Sorgen zu machen. Und wenn man Glück hat, ist man in der Nähe, um die Scherben aufzusammeln.«
Er wendet sich ab, aber ich kann das Spiegelbild seines gequälten Gesichts in der Scheibe sehen.
»Haben Sie ein Foto von Tyler?«, frage ich.
»Vielleicht zu Hause. Er mochte keine Kameras - nicht mal bei der Hochzeit.«
»Und vielleicht ein Bild von Helen? Ich habe noch kein richtiges Foto von ihr gesehen. In den Zeitungen war ein Schnappschuss abgedruckt, der vor dem Untergang der Fähre in Griechenland gemacht wurde.«
»Das war das aktuellste Foto, das wir hatten«, erklärt er.
»Haben Sie noch andere Bilder?«
Er zögert und sieht Julian Spencer an, bevor er seine Brieftasche aufklappt und ein passbildgroßes Foto herausnimmt.
»Wann wurde das aufgenommen?«, frage ich.
»Vor ein paar Monaten. Helen hat es aus Griechenland geschickt. Wir mussten einen neuen Pass für sie beantragen, auf ihren Mädchennamen.«
»Darf ich mir das mal ausleihen?«
»Warum?«
»Manchmal hilft es mir, ein Verbrechen zu verstehen, wenn ich ein Foto des Opfers habe.«
»Und Sie glauben, Helen ist ein Opfer?«
»Ja, sie war das erste.«
Seit Verlassen der Kanzlei hat Ruiz noch kein Wort gesagt. Ich bin sicher, er hat eine Meinung, die er mir jedoch erst mitteilen wird, wenn er so weit ist. Vielleicht ist das ein Vermächtnis seiner früheren Tätigkeit, jedenfalls ist er von einer Keine-Zeitkein-Platz-Aura umgeben, die ihn von den üblichen Konversationsregeln dispensiert. Aber ich muss auch zugeben, dass er seit seiner Pensionierung spürbar milder geworden ist. Die Kräfte in ihm haben ein Gleichgewicht gefunden, und er hat seinen Frieden mit dem Schutzheiligen gemacht, der über die Atheisten wacht. Schließlich gibt es einen Schutzheiligen für alles andere, warum also nicht auch für Ungläubige?
Alle schimmernden Facetten dieses Falls verschieben sich ständig in einem Kraftfeld aus Gefühlen und Trauer. Mir fiel es schwer, mich auf bestimmte Details zu konzentrieren, weil
ich so damit beschäftigt war, mich um unmittelbare Sorgen wie Darcy und ihre Zukunft zu kümmern. Jetzt möchte ich einen Schritt zurückmachen in der Hoffnung, die Dinge in einem Zusammenhang sehen zu können, aber es ist nicht leicht, den Blick von einer Bergwand zu lösen.
Ich kann verstehen, warum Bryan und Claudia Chambers so wütend und ungastlich waren, als wir sie auf ihrem Anwesen besucht haben. Gideon Tyler hat ihnen überall aufgelauert. Er ist ihren Autos gefolgt, hat ihre Briefe geöffnet und obszöne Souvenirs hinterlassen.
Die Polizei konnte diese Belästigung nicht abstellen, also haben die Chambers’ ihre Kooperation eingestellt und eigene Sicherheitsmaßnahmen ergriffen. Sie haben eine Rund-um-die-Uhr-Bewachung mit Alarmanlagen, Bewegungsmeldern, Sperren und Leibwächtern organisiert. Ihre Logik kann ich begreifen, aber die von Gideon nicht. Warum sucht er noch immer nach Helen und Chloe, wenn es das ist, was er tut?
Nichts an Gideon ist arglos oder spontan. Er ist ein Tyrann, ein Sadist und ein Kontrollfetischist, der sich sorgfältig und systematisch daran gemacht hat, die Familie seiner Frau zu vernichten und alle ihre Freundinnen zu töten.
Nicht aus reiner Lust - jedenfalls nicht am Anfang. Er hat Helen und Chloe gesucht. Jetzt ist es anders. Meine Gedanken wandern zu Christine Wheelers Handy zurück. Warum hat Gideon es behalten? Warum hat er es nicht weggeworfen oder in Christines Wagen zurückgelassen? Stattdessen hat er es in Patrick Fullers Wohnung mitgenommen, wo Patricks Schwester es ahnungslos benutzte, um eine Pizza zu bestellen, was seinen Plan um ein Haar hätte scheitern lassen.
Gideon hat ein Ladegerät gekauft. Die Polizei hat die Quittung gefunden. Er hat das Handy aufgeladen, um die
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