Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter
mit der Hand ab. »Danke.«
Sie nickt.
Chloes blonder Pony ist ihr über die Augen gefallen, und sie streicht ihn nicht zurück. Eine physische Barriere, hinter der sie sich verstecken kann.
»Er möchte mit Chloe sprechen.«
»Was soll sie sagen?«, fragt Helen.
»Sie muss einfach nur hallo sagen.«
»Das ist alles?«
»Ja.«
Chloe lässt die Beine baumeln und kaut an einem Fingernagel. Eine ausgeleierte grüne Strickjacke hängt bis zu ihren Oberschenkeln, und die enge Jeans lässt ihre Beine wie mit Denim verkleidete Stöcke aussehen.
Ich winke sie zu mir. Sie schleicht auf Zehenspitzen um den Schreibtisch, als hätte sie Angst, sich die Fersen zu verletzen. Ich halte den Hörer zu und spreche ihr lautlos die Worte vor, die sie sagen soll.
Dann hebe ich die Hand und klappe die Finger nacheinander ein. Der Countdown für Oliver. Fünf … vier … drei …
Chloe nimmt das Handy und flüstert. »Hallo, Daddy, ich bin’s.«
… zwei … eins …
Ich lasse den Arm sinken. Auf der anderen Seite der Scheibe drückt Oliver auf einen Knopf oder legt einen Schalter um, und ein Dutzend Mobilfunkmasten sind stillgelegt.
Ich kann mir vorstellen, wie Gideon auf sein Handy starrt und sich fragt, was mit dem Signal passiert ist. Seine Tochter war eben noch da, aber ihre Worte wurden abgerissen. Fünfzehn Polizeieinheiten sind im Umkreis von einhundertfünfzig Metern um seinen letzten Standort in der Nähe der Prince Street Bridge in Einsatzbereitschaft. Veronica Cray ist auf dem Weg zu ihnen.
Chloe begreift nicht, was geschehen ist.
»Das hast du sehr gut gemacht«, sage ich und nehme ihr das Mobiltelefon aus der Hand.
»Wo ist er hin?«
»Er ruft bestimmt noch mal an. Wir wollen, dass er ein anderes Telefon benutzt.«
Ich blicke durch die Scheibe zu Oliver und Lieutenant Greene, die gemeinsam den Atem anzuhalten scheinen. Schon zwei Minuten. Wir können die Sendemasten nicht länger als zehn Minuten lahmlegen. Wie lange wird Gideon brauchen, um ein Festnetztelefon zu finden?
Los, komm.
Ruf an.
67
Zu dem Wenigen, woran ich mich aus meinem Physikunterricht erinnere, gehört die Gewissheit, dass sich nichts schneller bewegt als das Licht. Und wenn sich ein Mensch über längere Entfernungen in Lichtgeschwindigkeit bewegen könnte, würde die Zeit für ihn langsamer werden und irgendwann sogar stillstehen.
Ich habe meine eigenen Theorien über die Zeit. Angst dehnt sie. Panik lässt sie zu nichts zusammenschrumpfen. Jetzt rast mein Herz, mein Verstand ist hellwach, aber alles andere im Einsatzraum strahlt die Ruhe und Trägheit eines fetten Hundes aus, der an einem heißen Sonntagnachmittag im Schatten döst. Selbst der Sekundenzeiger der Uhr scheint vor jedem Ticken zu zögern, unsicher, ob er weitergehen oder ganz stehen bleiben soll.
Der Schreibtisch vor mir ist bis auf zwei Festnetztelefone leer, die mit der Zentrale verbunden sind. Oliver Rabb und Lieutenant Greene sitzen im Kommunikationsraum nebenan. Helen und Chloe warten in Veronica Crays Büro.
Ich knibbele an einem Flocken abblätternder Farbe an der Stuhllehne und starre die Telefone an, als könne ich sie mit meiner Willenskraft dazu zwingen zu klingeln. Wenn ich mich genug anstrenge, kann ich vielleicht vor mir sehen, wie Gideon anruft. In dem Ohrhörer zählt Oliver eine weitere Minute herunter. Acht sind vergangen. Meine Brust hebt und senkt sich. Entspann dich. Er wird anrufen. Er muss nur ein Festnetztelefon finden.
Es dauert einen Moment, bis ich begreife, dass das Telefon tatsächlich klingelt. Ich blicke zu Oliver Rabb. Er will, dass ich es vier Mal klingeln lasse.
Ich hebe ab.
»Hallo.«
»Wo ist Chloe, verdammt noch mal?«
»Warum hast du aufgelegt?«
Gideon explodiert. »Ich hab nicht aufgelegt. Die Leitung war plötzlich tot. Wenn das irgendein beschissener Trick ist …«
»Chloe hat gesagt, du hättest aufgelegt.«
»Es gibt keinen Empfang, du Arschloch. Guck doch mal auf dein Handy.«
»Hey, stimmt.«
»Hol Chloe ans Telefon.«
»Ich schicke jemanden, um sie zu holen.«
»Wo ist sie?«
»Nebenan.«
»Hol sie.«
»Ich stelle den Anruf zu ihr durch.«
»Ich weiß, was du vorhast. Hol sie sofort ans Telefon!«
Ich blicke zu Oliver und William Greene, die nach wie vor versuchen, den Anruf zurückzuverfolgen. Sie brauchen zu lange. Meine linke Seite bebt. Selbst als ich meinen linken Fuß auf den Boden setze, hört das Zittern nicht auf.
Ruiz schiebt Chloe ins Zimmer. Ich halte die Sprechmuschel zu.
»Alles
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