Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter
Das schnurlose Mobilteil lag auf dem Boden.
Was einen Freund oder Geliebten angeht, könnte Darcy sich irren, aber das Bett sieht völlig unbenutzt aus. Keine Kondome. Keine Taschentücher. Genauso wenig wie Hinweise auf einen Eindringling. Nichts scheint angerührt zu sein, nichts zu fehlen. Es gibt keine Zeichen für einen Kampf oder eine Suche. Das Haus ist sauber. Aufgeräumt. Nicht das Haus eines Menschen, der alle Hoffnung aufgegeben hat und nicht mehr leben will.
»War die Haustür verriegelt?«
»Ich kann mich nicht erinnern«, sagt Darcy.
»Es ist wichtig. Als du nach Hause gekommen bist, hast du
einen Schlüssel ins Schloss gesteckt. Brauchtest du zwei verschiedene Schlüssel?«
»Nein. Ich glaube nicht.«
»Hatte deine Mutter einen Regenmantel?«
»Ja.«
»Wie sah er aus?«
»Es war so ein billiges Plastikding.«
»Welche Farbe?«
»Gelb.«
»Wo ist er jetzt?«
Sie führt mich in den Hausflur - ein leerer Mantelhaken erzählt den Rest der Geschichte. Am Freitag hat es geregnet, in Strömen gegossen. Sie hat den Regenmantel genommen und den Schirm stehen lassen.
Emma sitzt am Küchentisch und macht sich mit Buntstiften über ein Blatt Papier her. Ich gehe an ihr vorbei ins Wohnzimmer und versuche ein Bild von dem heraufzubeschwören, was am Freitag geschehen ist. Ich kann mir das Gewöhnliche dieses Tages vorstellen, eine Frau, die ihre alltäglichen Pflichten erledigt, eine Tasse gespült, das Waschbecken gewischt hat, als das Telefon klingelte. Sie nahm ab.
Dann zog sie ihre Kleider aus, ohne die Vorhänge zuzuziehen. Sie verließ das Haus nackt, nur mit einem Plastikregenmantel bekleidet, ohne die Haustür doppelt zu verriegeln. Sie war in Eile. Ihre Handtasche liegt noch auf einer Ablage im Flur.
Die dicke Glasplatte des Couchtischs wird von zwei Keramikelefanten mit gereckten und über dem Kopf geplätteten Rüsseln getragen. Ich knie mich neben den Tisch, betrachte die glatte Glasfläche aus der Nähe und entdecke kleine Brösel von abgebrochener Kreide oder Lippenstift. Hier hat sie sich das Wort »Hure« auf den Leib geschrieben.
Ich entdecke noch etwas auf dem Glas, eine Reihe halb durchsichtiger Kreise und stumpfe Lippenstiftstriche. Die Kreise sind getrocknete Tränen. Sie hat geweint. Und die Striche können die Ränder geschwungener Buchstaben sein, die über ein Blatt hinausgingen. Christine hat etwas mit Lippenstift geschrieben.
Eine Telefonnummer kann es nicht gewesen sein, dafür hätte sie einen Stift benutzt. Wahrscheinlich war es eher eine Botschaft oder ein Zeichen.
Vor achtundvierzig Stunden bin ich Zeuge geworden, wie diese Frau in den Tod gesprungen ist. Es konnte nur Selbstmord gewesen sein, aber psychologisch ergibt das überhaupt keinen Sinn. Jede ihrer Handlungen deutet auf Vorsatz hin, aber sie war nur ein widerwilliger Teilnehmer.
Als Letztes hat Christine Wheeler zu mir gesagt, dass ich nicht verstehen würde. Da hatte sie recht.
8
Sylvia Furness lebt in einer Wohnung im ersten Stock eines georgianischen Reihenhauses in der Great Pulteney Street, das wahrscheinlich in jeder historischen BBC-Serie seit der Original- Forsythe-Saga auftaucht. Ich wäre kaum überrascht, Pferdekutschen vorfahren und Frauen mit Hüten herumstolzieren zu sehen.
Sylvia Furness trägt keinen Hut. Ihre kurzen blonden Haare sind mit einem Stirnband aus dem Gesicht gebunden, und sie hat schwarze Stretch-Shorts, einen weißen Sport-BH und ein hellblaues T-Shirt mit tiefem Ausschnitt an. An ihrem dicken Schlüsselbund, den ständig mit sich herumzuschleppen allein schon einige Kalorien verbrennen muss, baumelt die Mitgliedskarte eines Fitness-Clubs.
»Verzeihen Sie, Mrs. Furness. Haben Sie einen Moment Zeit?«
»Was auch immer Sie anzubieten haben, ich kaufe es nicht.«
»Es geht um Christine Wheeler.«
»Ich komme zu spät zu meinem Spinning-Kurs. Ich rede nicht mit der Presse.«
»Ich bin kein Journalist.«
Sie blickt an mir vorbei und entdeckt Darcy auf dem Treppenabsatz. Mit einem spitzen Schmerzensschrei drängt sie an mir vorbei, schlingt die Arme um das Mädchen und drückt ein paar Tränen heraus. Darcy wirft mir einen Blick zu, der sagt: Ich hab’s ja immer gewusst.
Sie wollte nicht mit hoch kommen, weil sie wusste, dass die Geschäftspartnerin ihrer Mutter ein großes Theater machen würde.
»Was für ein Theater?«
»Theater halt.
Die Wohnungstür wird geöffnet, wir werden hineingebeten. Sylvia hält immer noch Darcys Hand. Emma folgt uns, unvermittelt still
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