Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter
überlassen.«
»Sie haben sie gesehen. Sie war völlig verängstigt.«
»Vor dem Tod?«
»Vor dem Fall.«
»Sie stand am Rand einer Brücke, Herrgott noch mal.«
»Nein, Sie verstehen nicht.«
Ich werfe einen Blick zu Darcy, die müde, aber aufmerksam wirkt. Sie sollte wieder zur Schule gehen oder in der Obhut eines Verwandten sein. Wenn sie Verwandte hat.
Detective Inspector Cray atmet tief ein und seufzt aus voller Brust. Dann geht sie zum Wagen und hockt sich neben die offene Fahrertür.
»Bist du eine Fee?«, fragt sie Emma.
Emma schüttelt den Kopf.
»Eine Prinzessin?«
Erneutes Kopfschütteln.
»Dann musst du ein Engel sein. Freut mich, dich kennenzulernen. In meinem Beruf trifft man nicht viele Engel.«
»Bist du ein Mann oder eine Frau?«, fragt Emma.
Detective Inspector Cray lacht.
»Ich bin ganz Frau, Süße. Einhundert Prozent.«
Sie sieht Darcy an. »Das mit deiner Mutter tut mir sehr leid. Kann ich irgendetwas für dich tun?«
»Glauben Sie mir«, sagt sie leise.
»Normalerweise bin ich auch für ungewöhliche Ideen aufgeschlossen, aber in diesem Fall muss man mich vielleicht überzeugen. Wollen wir reingehen? Da ist es wärmer.«
Unter dem Türsturz muss ich den Kopf einziehen. DI Cray streift ihre Gummistiefel ab. Schlammbrocken fallen auf den Boden.
Sie wendet sich ab und geht den Flur hinunter.
»Ich dusche schnell, Professor. Setzen Sie die Mädchen vor den Kamin. Ich habe sechs verschiedene Sorten heißen Kakao und bin in der Stimmung, einen auszugeben.«
Emma und Darcy haben kein Wort mehr gesagt, seit sie aus dem Wagen gestiegen sind. Veronica Cray kann einen sprachlos machen. Sie ist unumstößlich. Unerschütterlich.
Ich höre das Wasser im Bad laufen, setze einen Kessel auf den AGA-Herd und durchsuche die Speisekammer. Darcy hat im Fernsehen einen Zeichentrickfilm für Emma gefunden. Ich habe ihr seit dem Frühstück außer Keksen und Bananen nichts mehr zu essen gegeben.
An einer Korkpinnwand hängt ein Kalender, in dem Termine von Futterlieferanten, Hufschmieden und Pferdeauktionen verzeichnet sind. Außerdem hängen offene Rechnungen und Memos an dem Brett. Ich schlendere ins Wohnzimmer und sehe mich nach Spuren eines Lebenspartners um. Auf dem Kaminsims und dem Kühlschrank stehen Fotos eines dunkelhaarigen jungen Mannes, vielleicht ein Sohn.
Normalerweise sehe ich mich nicht so unverhohlen in anderer Leute Privatsphäre um, aber Veronica Cray fasziniert mich. Sie wirkt, als hätte sie ein Leben lang dafür gekämpft, als die akzeptiert zu werden, die sie ist. Und jetzt fühlt sie sich wohl mit ihrem Körper, ihrer Sexualität und ihrem Leben.
Sie kommt, ein Handtuch um den Körper gewickelt und zwischen den Brüsten geknotet, aus dem Badezimmer und muss um mich herumgehen. Wir weichen beide in dieselbe Richtung aus und wieder zurück. Ich entschuldige mich und drücke mich an die Wand.
»Keine Angst, Professor, ich bin aufblasbar. Normalerweise habe ich Größe sechsunddreißig.«
Sie lacht. Ich bin der Einzige, der verlegen ist.
Sie schließt die Schlafzimmertür. Zehn Minuten später taucht sie in gebügeltem Hemd und Hose in der Küche auf. In ihrer Stachelfrisur glitzern Wassertropfen.
»Sie züchten Pferde.«
»Ich rette alte Springpferde vor dem Abdecker.«
»Was machen Sie mit ihnen?«
»Ich suche ein Zuhause für sie.«
»Meine Tochter Charlie möchte ein Pferd haben.«
»Wie alt ist sie?«
»Zwölf.«
»Ich kann ihr eins besorgen.«
Die Mädchen trinken Kakao. DI Cray bietet mir etwas Kräftigeres an, aber ich soll wegen meiner Medikamente eigentlich nicht mehr trinken. Stattdessen begnüge ich mich mit einem Kaffee.
»Wissen Sie eigentlich, was Sie da tun?«, fragt sie eher besorgt als wütend. »Die Mutter des armen Mädchens ist tot, und Sie schleppen sie in aussichtsloser Mission durch die Gegend.«
»Sie hat mich ausfindig gemacht. Sie ist aus dem Internat abgehauen.«
»Und Sie hätten sie postwendend dorthin zurückschicken sollen.«
»Und was ist, wenn sie recht hat?«
»Hat sie nicht.«
»Ich war in Christine Wheelers Haus. Ich habe mit ihrer Geschäftspartnerin gesprochen.«
»Und?«
»Sie hatte finanzielle Probleme, aber nichts deutet auf eine Frau am Rande des Nervenzusammenbruchs hin.«
»Selbstmord ist eine impulsive Tat.«
»Ja, aber die Leute entscheiden sich trotzdem für etwas, was zu ihnen passt, normalerweise etwas, was sie für kurz und schmerzlos halten.«
»Worauf wollen Sie hinaus?«
»Sie springen
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