Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter
Bringen Sie Darcy zurück zu ihrem Internat. Fahren Sie nach Hause. Es ist nicht mehr Ihre Sache.«
»Und wenn ich Ihnen erzählen würde, dass ich etwas gehört habe?«, entgegne ich.
Sie stutzt und mustert mich argwöhnisch.
»Was haben Sie gehört?«
»Ein Wort.«
»Welches?«
»Spring!«
Ich beobachte die subtile Veränderung in ihrem Verhalten. Detective Inspector Cray scheint durch ein einziges Wort ein wenig geschrumpft. Sie betrachtet ihre großen, quadratischen Hände, bevor sie mich ohne jede Verlegenheit wieder direkt ansieht. Sie will diesen Fall nicht weiterverfolgen.
»Sie glauben, Sie hätten es gehört?«
»Ja.«
»Nun, ich denke, dann sollten Sie das dem Coroner erzählen. Ich bin sicher, er wird hocherfreut sein, das zu hören. Wer weiß, vielleicht überzeugen Sie ihn, aber daran habe ich ernste Zweifel. Mir ist es egal, ob Gott persönlich am anderen Ende dieser Telefonverbindung war, man kann jemanden nicht zwingen zu springen - jedenfalls nicht auf diese Weise.«
Die Scheinwerfer eines entgegenkommenden Wagens erleuchten einen Moment das Wageninnere und verschwinden dann in der Dunkelheit.
Darcy hebt den Blick zur Windschutzscheibe.
»Diese Polizistin wird uns nicht helfen, oder?«
»Nein.«
»Sie geben also auf.«
»Was erwartest du von mir, Darcy? Ich bin kein Polizist. Ich kann sie nicht zwingen zu ermitteln.«
Sie wendet sich ab und zieht die Schultern hoch, als wolle sie ihre Ohren vor weiteren Worten schützen. Wir fahren eine Meile schweigend.
»Wohin fahren wir?«
»Ich bringe dich zurück zu deinem Internat.«
»Nein!«
Die Aggressivität in ihrer Stimme überrascht mich. Emma zuckt zusammen und blickt vom Rücksitz zu uns.
»Ich gehe nicht zurück.«
»Hör mal, Darcy, ich weiß, dass du sehr selbstbewusst bist, aber ich glaube nicht, dass du schon vollkommen begriffen hast, was geschehen ist. Deine Mutter kommt nicht zurück. Und du bist nicht plötzlich erwachsen, bloß weil sie nicht mehr da ist.«
»Ich bin alt genug, selbst zu entscheiden.«
»Du kannst nicht nach Hause zurückkehren - nicht allein.«
»Dann bleibe ich in einem Hotel.«
»Und wie willst du das bezahlen?«
»Ich habe Geld.«
»Du musst doch noch andere Verwandte haben.«
Sie schüttelt den Kopf.
»Was ist mit Großeltern?«
»Mangelware.«
»Was soll das heißen?«
»Einer ist noch übrig, und der sabbert. Er lebt in einem Pflegeheim.«
»Gibt es sonst noch jemanden?«
»Eine Tante. Sie lebt in Spanien. Mums ältere Schwester. Sie leitet einen Gnadenhof für Esel. Ich glaube jedenfalls, dass es Esel sind. Es könnten auch Mulis sein. Ich kenne den Unterschied nicht. Meine Mum hat gesagt, sie wäre eine Brigitte Bardot für Arme, wer immer das ist.«
»Ein Filmstar.«
»Egal.«
»Wir rufen deine Tante an.«
»Ich will nicht mit Eseln zusammenleben.«
Es muss doch noch andere Möglichkeiten, andere Namen geben. Ihre Mutter hatte Freundinnen. Eine von ihnen kann sich bestimmt ein paar Tage um Darcy kümmern. Darcy weiß ihre Telefonnummern nicht. Sie versucht nicht einmal, hilfsbereit zu sein.
»Ich könnte bei Ihnen bleiben«, sagt sie und drückt ihre Zunge von innen gegen die Wange, als würde sie ein Bonbon lutschen.
»Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.«
»Warum nicht? Ihr Haus ist groß genug. Sie suchen ein Kindermädchen. Ich könnte Ihnen helfen, auf Emma aufzupassen. Sie mag mich …«
»Ich kann nicht erlauben, dass du bei uns bleibst.«
»Warum nicht?«
»Weil du sechzehn bist und in der Schule sein solltest.«
Sie greift nach ihrer Tasche auf dem Rücksitz. »Halten Sie an. Lassen Sie mich hier raus.«
»Das kann ich nicht.«
Das Seitenfenster gleitet auf elektronischen Druck nach unten.
»Was machst du da?«
»Ich werde Vergewaltigung, Entführung oder so was schreien, bis Sie anhalten und mich aussteigen lassen. Ich gehe nicht zurück zur Schule.«
Emma unterbricht uns. »Kein Streit«, meldet sie sich vom Rücksitz.
»Wie bitte?«
»Kein Streit.«
Sie sieht uns streng an.
»Wir streiten nicht, Schätzchen«, erkläre ich. »Wir führen ein ernstes Gespräch.«
»Ich mag keinen Streit«, verkündet sie. »Streit ist doof.«
Darcy lacht und sieht mich trotzig an. Woher hat sie dieses Selbstbewusstsein? Woher hat sie diese Unerschrockenheit?
Am nächsten Kreisverkehr wende ich.
»Wohin fahren wir jetzt?«, fragt sie.
»Nach Hause.«
10
Wenn Darcy ein trauernder Ehemann oder ein Kumpel wäre, würden wir in die Kneipe gehen
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