Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter
arbeitet. Er ist Sicherheitsberater. Er war unser Ansprechpartner, wenn wir Telefone abgehört oder Anrufe zurückverfolgt haben - alles ganz legal, versteht sich.«
»Selbstredend.«
Ich höre, dass er sich Notizen macht. Ich sehe sogar das marmorierte Notizbuch vor mir, das von Visitenkarten und eingesteckten
Zetteln überquillt und von einem Gummiband zusammengehalten wird.
Wieder klimpern Eiswürfel in einem Glas.
»Darf ich mit deiner Frau schlafen, wenn ich nach Somerset komme?«
»Nein.«
»Ich dachte, ihr Leute vom Land wärt so gastfreundlich.«
»Das Haus ist mehr oder weniger voll. Du kannst im Pub übernachten.«
»Na, das ist beinahe genauso gut.«
Ich beende den Anruf und lege Ruiz’ Karte in eine Schublade. Es klopft. Charlie kommt herein, setzt sich seitwärts in einen absolut intakten Sessel und lässt die Beine über die Armlehne baumeln.
»Hi, Dad.«
»Hi.«
»Was gibt’s?«
»Nichts Besonderes, und bei dir?«
»Ich schreibe morgen einen Geschichtstest.«
»Hast du gelernt?«
»Yep. Wusstest du, dass man den toten Pharaonen im alten Ägypten vor ihrer Einbalsamierung das Gehirn mit einem Haken aus dem linken Nasenloch gezogen hat?«
»Das wusste ich nicht.«
»Danach haben Sie die Leiche zum Austrocknen auf ein Salzbett gelegt.«
»Tatsächlich?«
»Ja.«
Charlie hat eine Frage, braucht jedoch noch Zeit, um sie zu formulieren. So ist sie, sehr präzise ohne Ohs und Ähs und lange Pausen.
»Warum ist sie hier?«
Sie meint Darcy.
»Irgendwo musste sie bleiben.«
»Weiß Mum es schon?«
»Noch nicht.«
»Was soll ich ihr sagen, wenn sie anruft?«
»Überlass das mir.«
Charlie starrt auf ihre Knie. Sie denkt viel intensiver über die Dinge nach, als ich es meiner Erinnerung nach je getan habe. Manchmal grübelt sie tagelang, entwickelt eine Theorie oder Meinung, die sie aus heiterem Himmel zum Besten gibt, nachdem alle längst nicht mehr daran denken oder die ursprüngliche Diskussion komplett vergessen haben.
»Die Frau in den Nachrichten neulich, die gesprungen ist.«
»Was ist mit ihr?«
»Das war Darcys Mum.«
»Ja.«
»Sollte ich irgendwas zu ihr sagen? Ich meine, ich weiß nicht, ob ich das Thema ganz vermeiden und so tun soll, als ob alles in Ordnung wäre.«
»Wenn Darcy nicht darüber reden will, wird sie es dir sagen.«
Charlie nickt. »Gibt es eine Beerdigung oder so?«
»In ein paar Tagen.«
»Wo ist ihre Mum jetzt?«
»In der Leichenhalle. Das ist ein Ort, wo …«
»Ich weiß«, unterbricht sie mich und klingt sehr erwachsen. Wieder entsteht eine längere Pause. »Hast du Darcys Turnschuhe gesehen?«
»Was ist damit?«
»Genau solche will ich auch haben.«
»Okay. Sonst noch was?«
»Nee.«
Charlie wirft den Pferdeschwanz über eine Schulter und marschiert schnurstracks hinaus.
Ich bleibe allein zurück mit einem Stapel von Rechnungen, die sortiert, bezahlt oder abgeheftet werden müssen. Julianne hat die Quittungen von ihrer Arbeit in einem Umschlag gebündelt.
Als ich die Schublade zuschiebe, fällt mir ein zerknüllter Beleg auf dem Boden ins Auge. Ich hebe ihn auf und streiche ihn auf der Schreibtischunterlage glatt. Zuoberst steht in kunstvoller Schrift der Name des Hotels. Es ist die Rechnung für ein vom Zimmer-Service gebrachtes Frühstück inklusive Champagner, Eiern, Speck, Obst und Pasteten. Julianne hat sich richtig was gegönnt. Normalerweise isst sie nur Müsli oder Obstsalat.
Ich knülle die Rechnung wieder zusammen und will sie wegwerfen. Ich weiß nicht, was mich davon abhält - ein Fragezeichen, ein Anflug von Unbehagen. Das Gefühl zerstreut sich und verfliegt. Draußen ist es zu still. Ich will mich nicht selber denken hören.
11
Um ein Schloss zu knacken, braucht man größtes Fingerspitzengefühl und ein feines Ohr. Zuerst stelle ich mir den Mechanismus bildhaft vor und konzentriere meine Gedanken darauf. Alle Sinne sind wichtig - nicht nur Hören und Tasten. Man muss sehen, um Modell und Bauart zu identifizieren, riechen, um festzustellen, ob es kürzlich geschmiert wurde, schmecken, um festzustellen, womit.
Jedes Schloss hat eine Persönlichkeit. Zeit und Wetter verändern seine Eigenschaften. Temperatur. Feuchtigkeit. Kondensation. Wenn ich den Dietrich hineingeschoben habe, schließe ich die Augen und taste. Fühle. Wenn der Dietrich über die Stifte gleitet, muss ich ein bestimmtes Maß an Druck ausüben, um den Widerstand zu testen. Das erfordert Sensibilität, Geschicklichkeit, Konzentration und
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