Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter
das Genörgel seiner Ehefrau nicht mehr ertragen und schlägt ihr mit einem Hammer den Schädel ein. Diese Art von Gewaltverbrechen kann ich verstehen.«
Ohne es auszusprechen, sagt sie, dass dieser Fall anders liegt.
»Ich habe Geschichten über Sie gehört. Es heißt, Sie können Dinge über Menschen sagen, sie verstehen, sie deuten wie Teeblätter in einer Tasse.«
»Ich mache klinische Beobachtungen und gebe Einschätzungen.«
»Ist mir egal, wie Sie es nennen, jedenfalls scheinen Sie gut
in so was zu sein. Sie achten auf Details. Sie entdecken gerne Muster. Ich will, dass Sie für mich ein Muster finden. Ich will wissen, wer das getan hat. Ich will wissen, warum und wie er es getan hat. Und ich will diesen kranken Wichser daran hindern, es noch einmal zu tun.«
25
Das Haus ist still. Fetzen von klassischer Musik wehen durch den Flur. Der Esstisch ist an die Wand geschoben, in der Mitte des Raumes ist nur ein einzelner Stuhl zurückgeblieben.
Darcy trägt eine tief sitzende Trainingshose und ein bauchund schulterfreies grünes Top, das ihre blasse Haut betont. Ihr kastanienbraunes Haar ist zu einem straffen Knoten hochgesteckt.
Sie legt ein Bein auf die Lehne des Stuhls, die Zehen ausgestreckt, und beugt sich vor, bis ihre Stirn ihr Knie berührt. Die Konturen der Schulterblätter unter ihrer Haut sehen aus wie gestutzte Flügel.
Diese Stellung hält sie eine Minute, bevor sie mit dem Oberkörper langsam wieder hochkommt und einen Arm über ihren Kopf führt, als wollte sie in die Luft malen. Jede Bewegung, jedes Senken einer Schulter, jedes Strecken einer Hand, geschieht mit präzise kontrolliertem Kraftaufwand. Nichts wirkt gezwungen, nichts vergeudet. Sie ist noch kaum eine Frau und bewegt sich doch schon mit so viel Anmut und Selbstvertrauen.
Sie setzt sich auf den Boden, spreizt die Beine und beugt sich vor, bis ihr Kinn den Boden berührt. Ihr extrem gedehnter und offener jugendlicher Körper wirkt dabei kein bisschen vulgär, sondern athletisch und schön.
Sie öffnet die Augen.
»Ist dir nicht kalt?«, frage ich.
»Nein.«
»Wie oft trainierst du?«
»Ich sollte es zwei Mal täglich tun.«
»Du bist sehr gut.«
Sie lacht. »Kennen Sie sich mit Ballett aus?«, fragt sie.
»Nein.«
»Man sagt, ich hätte den Körper einer Tänzerin«, sagt sie. »Lange Beine und einen kurzen Rumpf.« Sie steht auf und wendet mir ihr Profil zu. »Selbst wenn ich gerade stehe, biegt sich das Knie leicht nach hinten, sehen Sie? Dadurch entsteht im Pointé eine geradere Linie.« Sie stellt sich auf die Zehenspitzen. »Ich kann meine Zehen so strecken, dass sie mit dem Knie eine vertikale Linie bilden. Sehen Sie?«
»Ja. Du bist sehr anmutig.«
Sie lacht. »Ich habe O-Beine und einen Watschelgang.«
»Ich hatte einmal eine Patientin, die Ballerina war.«
»Warum ist sie zu Ihnen gekommen?«
»Sie war magersüchtig.«
Darcy nickt traurig. »Manche Mädchen müssen hungern. Ich habe meine Regel erst mit fünfzehn bekommen. Außerdem habe ich eine Rückgratverkrümmung, teilausgerenkte Wirbel und Stressfrakturen im Hals.«
»Warum machst du es dann?«
Sie schüttelt den Kopf. »Sie würden es nicht verstehen.«
Sie stellt die Zehen nach außen.
»Das ist ein Pas de chat . Ich gehe aus der ersten Position ins Demi-Plié , springe mit dem linken Fuß ab und strecke mein rechtes Bein ins Retiré . In der Luft ziehe ich auch mein linkes Bein ins Retiré , sodass meine Beine eine Raute bilden. Sehen Sie? Das machen die vier kleinen Schwäne, wenn sie in Schwanensee tanzen. Sie haken sich unter und machen sechzehn Pas de chats .« Eine fließende scheinbare Leichtigkeit lässt sie durch jeden der Sprünge schweben.
»Können Sie mir helfen, meinen Pas de deux zu üben?«
»Was ist denn das?«
»Kommen Sie. Ich zeige es Ihnen.«
Sie nimmt meine Hände und legt sie an ihre Hüften. Es fühlt sich an, als könnten sich meine Fingerspitzen in ihrem Kreuz berühren.
»Ein bisschen tiefer«, sagt sie. »Genau so.«
»Ich weiß nicht, was ich tue.«
»Das macht nichts. Beim Pas de deux achtet niemand auf den Mann, weil alle damit beschäftigt sind, der Ballerina zuzuschauen.«
»Was muss ich machen?«
»Mich hochhalten, wenn ich springe.«
Mühelos hebt sie ab. Wenn überhaupt, fühlt es sich eher so an, als würde ich sie nach unten ziehen, statt hochzuheben. Ich spüre ihre nackte Haut unter meinen Fingern.
Sie wiederholt den Sprung ein halbes Dutzend Mal. »Sie können mich jetzt loslassen«, sagt
Weitere Kostenlose Bücher