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Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter

Titel: Dein Wille geschehe - Dein Wille geschehe - Shatter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Robotham
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Vielleicht habe ich aber auch bloß noch mehr Angst davor, dass mein Bein blockiert und ich umfalle.
    Der Fotograf macht Nahaufnahmen von den Fingern der Frau. Sie hat schmale lackierte Nägel. In seiner Nacktheit ist ihr Körper von marmorner Blässe. Ich kann die süße Säure ihres Parfüms und Urins riechen.
    »Wissen Sie, wer das ist?«
    Ich schüttele den Kopf.
    Den Stoff mit beiden Händen fassend, rollt DI Cray die Kapuze hoch, und Sylvia Furness starrt mich an. Ihr Kopf hängt nach vorne und ist unter dem Körpergewicht zu einer Seite verdreht. Ihr aschblondes Haar ist lockig verfilzt und an den Schläfen dunkler.
    »Ihre Tochter Alice hat sie am späten Montagnachmittag als vermisst gemeldet. Alice wurde nach ihrer Reitstunde zu Hause abgesetzt und fand die Wohnungstür offen vor. Keine Spur von ihrer Mutter. Ihre Kleider lagen auf dem Boden. Am Dienstagmorgen wurde eine Vermisstenmeldung herausgegeben.«
    »Wer hat die Leiche gefunden?«, frage ich.
    Sie weist über meine Schulter auf einen Bauern, der auf dem Vordersitz eines Kleinlasters sitzt. »Gestern Nacht glaubte er, Füchse gehört zu haben. Also hat er gleich heute früh nachgesehen. Zuerst hat er Sylvia Furness’ in der Scheune geparkten Wagen gefunden. Und dann die Leiche.«
    Veronica Cray lässt die Kapuze wieder über Sylvias Gesicht fallen. Der Ort ihres Todes zeugt von einem Feingefühl für Surreal-Abstraktes und Schmerzhaft-Theatralisches; ein Hauch
von Sägemehl und Schminke, als ob alles inszeniert sei, um von jemandem gefunden zu werden.
    »Wo ist Alice jetzt?«
    »Ihre Großeltern kümmern sich um sie.«
    »Was ist mit ihrem Vater?«
    »Er kommt aus der Schweiz zurückgeflogen. Er war auf Geschäftsreise.«
    DI Cray stopft die Hände in die Taschen ihres Mantels.
    »Ergibt das für Sie irgendeinen Sinn?«
    »Noch nicht.«
    »Es gibt keinen Hinweis auf einen Kampf. Sie ist weder vergewaltigt noch gefoltert worden. Sie ist erfroren, verdammt noch mal.«
    Ich weiß, dass sie an Christine Wheeler denkt. Die Ähnlichkeiten lassen sich in keinem Fall ignorieren, aber für jede Ähnlichkeit könnte ich einen ebenso zwingenden Unterschied nennen.
    Außerdem überlegt sie, ob Patrick Fuller beteiligt gewesen sein könnte. Er war am Sonntagvormittag aus dem Polizeigewahrsam entlassen worden, nachdem wegen des Diebstahls von Christine Wheelers Handy Strafanzeige gegen ihn erstattet worden war.
    Uniformierte Beamte haben sich neben dem Schuppen versammelt und warten darauf, das angrenzende Feld zu durchkämmen. Veronica geht zu ihnen und lässt mich allein neben der Leiche zurück.
    Vor neun Tagen habe ich Sylvia Furness durch eine offene Tür beim Umkleiden beobachtet, ihre von Stunden im Fitness-Studio gemeißelten Muskeln. Jetzt hat der Tod diese Skulptur versteinern lassen.
    Ich gehe über die Laufbretter zum Rand des abgesperrten Bereichs und weiter den Hang zu einer mit Eichen bewachsenen Anhöhe hinauf. In dem Schlamm nützt mir mein polierter Spazierstock gar nichts. Ich klemme ihn unter den Arm.
    Als die Sonne schließlich zwischen hohen weißen Wolken
durchbricht, wirkt der Himmel wie aus Porzellan. Der letzte Dunst hat sich verzogen, das Tal ist ganz aus dem Nebel getaucht und präsentiert sich mit gewölbten Brücken und mit Kühen gesprenkelten Weiden.
    Ich versuche über den Zaun an der Grundstücksgrenze zu klettern, aber mein Bein blockiert, und ich falle in einen Graben mit kniehohem Gras und schlammigem Wasser. Wenigstens war es eine weiche Landung.
    Ich drehe mich um und verfolge die Szene, beobachte, wie Sylvias Leiche vom Baum herabgenommen und auf eine Plastikplane am Boden gebettet wird. Die Natur ist ein herzloser Zuschauer. Egal, wie grausam eine Tat oder Katastrophe auch sein mag, Bäume, Felsen und Wolken bleiben ungerührt. Vielleicht ist die Menschheit deshalb so entschlossen, den letzten Baum zu fällen, den letzten Fisch zu fangen und den letzten Vogel abzuschießen. Wenn die Natur unserem Schicksal gegenüber so gleichgültig sein kann, warum sollten wir dann Mitgefühl für sie zeigen?
    Sylvia Furness ist erfroren. Sie war im Besitz eines Handys, hat jedoch keine Hilfe gerufen. Er hat sie ins Gespräch verwickelt, bis der Akku leer war. Oder er war hier und hat sie damit verhöhnt.
    Das Ganze war ein verdrehtes, sadistisches Theaterstück, aber was wollte der Künstler damit sagen? Er hat Lust aus ihren Schmerzen gezogen, hat in seiner Macht über Sylvia geschwelgt, aber warum hat er ihre Leiche so offensichtlich

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