Deine Juliet
unsere Kunden, ein Leben lang.
Schreibst Du mit? Das solltest Du – ein Verleger sollte einer Buchhandlung nicht nur ein einziges Leseexemplar schicken, sondern mehrere, damit alle Angestellten es lesen können.
Mr. Seton sagte mir heute, dass
Izzy Bickerstaff
ein ideales Geschenk ist, sowohl für jemanden, den man gut leiden kann, als auch für jemanden, den man nicht leiden kann, dem man aber trotzdem ein Geschenk machen muss. Er behauptete auch, dass dreißig Prozent aller Bücher als Geschenk gekauft werden. Dreißig Prozent??? Kann das stimmen?
Hat Susan Dir erzählt, was sie außer unserer Lesereise noch organisiert hat? Mich. Ich kannte sie noch keine halbe Stunde, da sagte sie mir, wie ich mich schminkte, wie ich mich anzöge, meine Frisur und meine Schuhe, alles sei trist, schrecklich trist. Ob ich noch nicht gehört hätte, dass der Krieg vorbei sei?
Sie brachte mich zu Madame Helena, die mir die Haare schnitt; sie sind jetzt kurz und lockig statt lang und glatt. Ich bekam auch eine leichte Tönung – Susan und Madame sagten, das hebe die goldenen Strähnen in meinen «schönen kastanienroten Locken» hervor. Aber ich weiß es besser; es soll die grauen Haare (vier habe ich gezählt) überdecken, die sich eingeschlichen haben. Ich habe auch einen Tiegel Gesichtscreme gekauft,eine gute, parfümierte Handcreme, einen neuen Lippenstift und eine Wimpernzange – wenn ich die benutze, muss ich immer schielen.
Dann hat Susan vorgeschlagen, ich solle mir ein neues Kleid kaufen. Ich habe sie daran erinnert, dass die Königin mit Vergnügen ihre Garderobe von 1939 trägt, warum dann nicht auch ich? Sie sagte, die Königin müsse keine Fremden beeindrucken – ich hingegen schon. Ich kam mir vor wie eine Verräterin an Krone und Vaterland; keine anständige Frau besitzt neue Kleider, aber das habe ich in dem Moment vergessen, als ich vor dem Spiegel stand. Mein erstes neues Kleid seit vier Jahren, und was für ein Kleid! Es hat die Farbe eines reifen Pfirsichs, und wenn ich mich bewege, fällt es in schöne Falten. Die Verkäuferin sagte, es habe «französischen Chic», und den würde ich auch haben, wenn ich es kaufte. Also habe ich es gekauft. Neue Schuhe werden noch warten müssen, denn ich habe fast alle Kleidermarken des ganzen Jahres für diese Anschaffung ausgegeben.
Mit Susan, meiner Frisur, meinem Gesicht und meinem Kleid sehe ich nicht mehr wie eine lustlose, ungepflegte Zweiunddreißigjährige aus, sondern wie eine lebhafte, elegante, hautecouturierte (wenn dies kein französisches Adjektiv ist, sollte es das aber sein) Dreißigjährige.
Apropos neues Kleid ohne neue Schuhe – ist es nicht erschütternd, dass wir nach dem Krieg eine striktere Rationierung haben als während des Krieges? Ich weiß ja, dass mehrere hunderttausend Menschen in ganz Europa ernährt, untergebracht und bekleidet werden müssen, aber insgeheim ärgert es mich, dass so viele Deutsche darunter sind.
Ich habe immer noch keine Idee für ein neues Buch. Das bedrückt mich allmählich. Hast Du irgendwelche Vorschläge?
Weil ich in einer Gegend weile, die ich als den Norden betrachte, werde ich heute Abend ein Ferngespräch nach Schottland anmelden. Soll ich Deiner Schwester etwas ausrichten? Deinem Schwager? Deinem Neffen?
Dies ist der längste Brief, den ich je geschrieben habe – Du brauchst Dich aber nicht zu revanchieren.
Alles Liebe,
Deine Juliet
Susan Scott an Sidney
25. Januar 1946
Lieber Sidney,
Du darfst den Zeitungsberichten nicht glauben. Juliet wurde nicht verhaftet und in Handschellen abgeführt. Sie bekam nur eine Ermahnung von einem Polizisten in Bradford, dem es sichtlich schwerfiel, dabei ernst zu bleiben.
Sie hat Gilly Gilbert eine Teekanne an den Kopf geworfen, aber glaub ihm ja nicht, dass sie ihn verbrüht hat, der Tee war kalt. Außerdem war es mehr ein Streifschuss als ein Volltreffer. Der Hoteldirektor wollte sich die Teekanne noch nicht mal von uns ersetzen lassen – sie hat nur eine Delle abbekommen. Wegen Gillys Schreien sah er sich allerdings genötigt, die Polizei zu rufen.
Hier nun, was vorgefallen ist, und ich übernehme die volle Verantwortung dafür. Ich hätte Gilly die Bitte um ein Interview mit Juliet abschlagen sollen. Ich wusste, was für ein unausstehlicher Kerl er ist, einer von diesen schmierigen Würmern, die für
The London Hue & Cry
arbeiten. Ich wusste auch, dass Gilly und
LH&C
furchtbar neidisch sind auf den Erfolg, den der
Spectator
mit den
Izzy
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