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Deine Juliet

Deine Juliet

Titel: Deine Juliet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Annie Mary Ann / Barrows Shaffer
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hält, seinen Teil dazu tut, Kit großzuziehen, und dass sie ihn vergöttert.
    Nicht erzählt habe ich Dir, dass ich mich gleich am ersten Abend, als ich auf der Insel eintraf und Dawsey mir unten am Anleger beide Hände entgegenstreckte, ganz unerklärlich zu ihm hingezogen fühlte. Dawsey ist so ruhig und beherrscht, dassich beim besten Willen nicht weiß, ob es ihm ähnlich geht, weshalb ich den ganzen vergangenen Monat nach Kräften bemüht war, mich vernünftig und gelassen und
normal
aufzuführen. Was mir auch recht gut gelungen ist – bis zum gestrigen Abend.
    Da nämlich kam Dawsey vorbei, um sich für seine Reise nach Louviers einen Koffer auszuborgen – er will Remy abholen und sie hierherbegleiten. Was ist das für ein Mann, der nicht einmal einen Koffer besitzt? Kit schlief bereits tief und fest, und so luden wir meinen Koffer auf seinen Wagen und spazierten hinaus zur Landspitze. Der Mond ging eben auf, und der Himmel hatte die Farbe von Perlmutt, wie das Innere einer Muschel. Das Meer war ausnahmsweise ruhig, regte sich kaum, kräuselte sich nur ganz leicht in dem silbrigen Licht. Kein Wind. Nie zuvor hatte ich die Welt so schweigsam erlebt, und Dawsey, ging mir auf, war genauso schweigsam, wie er da neben mir herlief. So schweigsam und so nah, dass ich mir seine Handgelenke und seine Hände ganz genau betrachten konnte. Ich verspürte den Wunsch, sie zu berühren, und wurde ganz benommen bei dem Gedanken. Ein mulmiges Gefühl   – Du kennst es bestimmt – machte sich in meiner Magengrube breit.
    Unvermittelt wandte sich Dawsey zur Seite und sah mich an. Er hat sehr dunkle Augen. Wer weiß, was als Nächstes geschehen wäre – ein Kuss? Hätte er mir den Kopf getätschelt? Oder wäre gar nichts passiert?   –, doch in dem Moment hörten wir Wally Beall mit seinem Pferdefuhrwerk (das uns im Ort als Taxi dient) vor meinem Cottage vorfahren, und Wallys Fahrgast rief: «Überraschung, Darling!»
    Es war Mark   – Markham   V.   Reynolds junior, eine blendende Erscheinung in seinem maßgeschneiderten Anzug, mit einer halben Wagenladung roter Rosen im Arm.
    Wirklich, Sophie, ich hätte ihn am liebsten tot gesehen.
    Aber was sollte ich machen? Ich ging zu ihm, um ihn zu begrüßen – und als er mich küsste, konnte ich nichts weiter denken als: Nicht! Nicht vor Dawsey! Er legte mir die Rosenin den Arm und zeigte Dawsey sein stählernes Lächeln. Also stellte ich die beiden einander vor, am liebsten hätte ich mich in ein Loch verkrochen, ich weiß gar nicht genau, warum eigentlich – und sah stumm zu, wie Dawsey ihm die Hand schüttelte, sich zu mir wandte, mir die Hand schüttelte, «Danke für den Koffer, Juliet. Gute Nacht» sagte, auf seinen Wagen stieg und losfuhr. Ohne ein weiteres Wort, ohne sich noch einmal umzuschauen.
    Ich hätte weinen können. Stattdessen bat ich Mark herein und versuchte, wie eine Frau zu wirken, die sich über eine Überraschung freut. Das Fuhrwerk und die Begrüßung hatten Kit aufgeweckt, die Mark misstrauisch beäugte und wissen wollte, wo Dawsey sei – er habe ihr keinen Gutenachtkuss gegeben. Mir auch nicht, dachte ich im Stillen.
    Ich verfrachtete Kit ins Bett und machte Mark deutlich, dass mein Ruf vollkommen ruiniert wäre, wenn er nicht auf der Stelle ins Hotel Royal ginge. Was er dann auch tat, höchst missgelaunt und unter der mehrfach geäußerten Androhung, am nächsten Morgen um sechs wieder vor meiner Tür zu stehen.
    Dann setzte ich mich hin und kaute drei Stunden auf meinen Fingernägeln herum. Sollte ich mich zu Dawsey begeben und versuchen, da fortzufahren, wo wir aufgehört hatten? Aber wo genau hatten wir aufgehört? Darüber war ich mir nicht im Klaren. Ich wollte mich nicht zum Narren machen. Was, wenn er nur höflich, aber verständnislos geguckt hätte? Oder, schlimmer noch: mitleidig?
    Und außerdem – was denke ich da? Mark ist hier. Mark, der reiche Beau, der mich heiraten will. Mark, ohne den ich bestens auskomme, wie mir auffällt. Warum muss ich unablässig an Dawsey denken, der sich vermutlich überhaupt nicht um mich schert?
    Es ist zwei Uhr früh, von meinen Fingernägeln ist nichts mehr übrig, und ich sehe mindestens aus wie hundert. Vielleicht lässt sich Mark von meiner verhärmten Miene ja abschrecken,wenn er mich sieht. Vielleicht verschmäht er mich dann. Wäre ich enttäuscht, wenn es so käme?
     
    Liebste Grüße,
    Deine Juliet

Amelia an Juliet (unter Juliets Tür durchgeschoben)
    22.   Juli 1946
    Liebe Juliet,
    meine

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