Deine Juliet
sagte, sobald der Krieg vorbei sei, wolle er auf die Insel zurückkehren, Elizabeth heiraten, Freesien züchten, lesen und den Krieg vergessen. Als er zu Ende gesprochen hatte, war ich selbst ein klein wenig verliebt in ihn.»
Amelia war den Tränen nahe, darum legten wir die Skizzen beiseite, und ich machte ihr einen Tee. Dann kam Kit mit einem zerbrochenen Möwenei herein, das sie kleben wollte, und wir waren dankbar für die Ablenkung.
Gestern stand Will Thisbee bei mir vor der Tür, einen Teller glasierte Muffins mit Dörrpflaumen in der Hand, also bat ich ihn zum Tee herein. Er wollte sich mit mir über zwei Frauen beratschlagen; welche von beiden ich heiraten würde, wenn ich ein Mann wäre, was ich ja nun nicht sei. (Kannst Du mir folgen?)
Miss X zählt zu den Zauderern – ein Zehnmonatskind, das sich in dieser Hinsicht nie geändert hat. Als sie hörte, dass dieDeutschen im Anmarsch seien, vergrub sie die silberne Teekanne ihrer Mutter unter einer Ulme und weiß nun nicht mehr, welche es war. Sie hebt auf der ganzen Insel Löcher aus und schwört, nicht eher damit aufzuhören, bis sie das gute Stück gefunden hat. «Eisern entschlossen», sagte Will. «Sieht ihr gar nicht ähnlich.» . (Will hat versucht, es zu verschleiern, aber Miss X ist ganz eindeutig Daphne Post. Sie hat große Glotzaugen wie eine Kuh und ist im Kirchenchor berühmt für ihren zittrigen Sopran.)
Dann ist da noch Miss Y, eine hiesige Schneiderin. Als die Deutschen kamen, hatten sie nur eine Naziflagge im Gepäck, und die brauchten sie für ihr Hauptquartier. Nun hatten sie nichts, was sie an einem Flaggenmast aufziehen konnten, um den Inselbewohnern die Eroberung vor Augen zu führen. Sie gingen zu Miss Y und befahlen ihr, eine Naziflagge für sie zu fertigen. Was sie tat – ein schwarzes, scheußliches Hakenkreuz in einem trübsinnig braunroten Kreis, aufgenäht nicht etwa auf scharlachrote Seide, sondern auf ein Flanelltuch von der Farbe eines rosigen Kinderpopos. «Wie einfallsreich ihr Groll sie gemacht hat», sagte Will. «Was für eine Persönlichkeit!» . (Bei Miss Y handelt es sich um Miss Lefroy. Sie ist so dünn wie ihre Nähnadeln, hohlwangig und presst den Mund stets zu einem Strich zusammen.)
Nun sollte ich sagen, welche der Damen die passende Gefährtin für einen Mann in seinen besten Jahren abgäbe, Miss X oder Miss Y? Ich sagte ihm, wenn sich die Frage überhaupt stelle, so hieße das doch wohl: keine von beiden.
Er erwiderte: «Genau das hat Dawsey auch gesagt – mit ebendenselben Worten. Isola hat gesagt, Miss X würde mich zu Tode langweilen, und Miss Y würde mich mit ihrer Nörgelei in den Wahnsinn treiben. Danke, haben Sie vielen Dank – ich setze meine Suche fort. Irgendwo da draußen ist sie und wartet auf mich.»
Er setzte seine Mütze auf, verbeugte sich und ging. Sidney,und mag er auch die ganze Insel befragt haben – es schmeichelte mir so sehr, mit einbezogen zu werden, dass ich mir vorkam wie eine echte Insulanerin und nicht wie ein seltsames Festlandgewächs.
Liebste Grüße,
Deine Juliet
PS: Interessant zu erfahren, dass Dawsey Ansichten zum Thema Heiraten hat. Ich wünschte, ich wüsste mehr darüber.
Juliet an Sidney
19. Juli 1946
Lieber Sidney,
überall stoße ich auf Geschichten von Elizabeth – nicht nur bei den Mitgliedern des Buchclubs. Hör Dir das an: Heute Nachmittag unternahmen Kit und ich einen Spaziergang zum Kirchhof. Kit spielte Abschlagen zwischen den Grabsteinen, und ich streckte mich auf Mr. Edwin Muliss’ letzter Ruhestätte aus – einer Grabplatte, die auf vier stämmigen Füßen steht. Sam Withers, der uralte Friedhofswächter, ging an mir vorbei und tippte grüßend an seine Mütze. Er sagte, ich erinnere ihn an Miss McKenna als junges Mädchen. Sie habe sich immer auf ebendiesem Stein gesonnt – braun wie eine Walnuss sei sie geworden.
Ich setzte mich pfeilgerade hin und fragte Sam, ob er Elizabeth gut gekannt hätte.
Sam sagte: «Na ja – so richtig gut wohl nicht, aber ich mochte sie gern. Sie und Jane, die Kleine von Eben, sind immer hierhergekommen, zu dem Grabstein hier. Haben ein Tischtuch ausgebreitetund Picknick gemacht – direkt über Mr. Muliss’ alten Knochen.»
Sam verbreitete sich weiter darüber, wie frech die beiden gewesen seien, immer nur Unfug im Sinn – einmal hätten sie versucht, einen Geist zum Leben zu erwecken, und der Pfarrersfrau einen Heidenschrecken eingejagt. Dann sah er zu Kit hinüber, die vor dem
Weitere Kostenlose Bücher