Deine Juliet
September 1946
Lieber Sidney,
Juliet sagt, Du willst herkommen, um Dir die Briefe von Großmama Pheen persönlich anzusehen, und ich sage, es wird aber auch Zeit. Ich habe nichts gegen Ivor einzuwenden, er ist ein netter Kerl, aber er sollte sich abgewöhnen, diese komischen Fliegen zu tragen, die wie Haarschleifen aussehen. Ich habe ihm gesagt, dass sie ihm nicht stehen, aber er wollte lieber von meinem Misstrauen gegen Billee Bee Jones hören, wie ich sie beschattet und in der Räucherkammer eingeschlossen habe. Er meinte, das war hervorragende Detektivarbeit und Miss Marple hätte es nicht besser machen können!
Miss Marple ist keine Freundin von ihm, sie ist eine Detektivin in Romanen, die dank all dem, was sie über die menschliche Natur weiß, Kriminalfälle löst und Verbrechen aufklärt, an denen die Polizei scheitert.
Er hat mich auf den Gedanken gebracht, wie schön es wäre, selbst solche Fälle zu lösen. Wenn ich nur von welchen wüsste.
Ivor sagte, Hinterlist und Heimtücke gäbe es überall, und mit meinem feinen Gespür könnte ich mich zu einer zweiten Miss Marple ausbilden. «Sie haben eine ausgezeichnete Beobachtungsgabe.Jetzt fehlt Ihnen nur noch die Übung. Prägen Sie sich alles ein und schreiben Sie es auf.»
Ich habe mir von Amelia ein paar Bücher ausgeliehen, die von Miss Marple handeln. Sie ist ein Unikum, nicht wahr? Sitzt bloß still da und strickt, sieht Dinge, die anderen entgehen. Ich könnte die Ohren offen halten und lauschen, ob etwas faul ist, könnte Dinge aus den Augenwinkeln beobachten. Freilich haben wir auf Guernsey keine ungelösten Kriminalfälle, aber das heißt nicht, dass es nicht eines Tages welche geben wird – und wenn es so weit ist, werde ich bereit sein.
Ich halte das Schädelhöckerbuch, das Du mir geschickt hast, nach wie vor in Ehren und hoffe nur, Du bist mir nicht böse, wenn ich mich einer neuen Berufung zuwenden möchte. Ich vertraue noch immer darauf, was die Buckel mir verraten, es ist nur so, dass ich die Schädelhöcker von allen abgetastet habe, die mir am Herzen liegen, nur von Dir nicht, und mit der Zeit verliert es an Reiz.
Juliet sagt, Du kommst nächsten Freitag. Ich kann Dich vom Flugzeug abholen und zu Juliet fahren. Eben veranstaltet am Abend darauf ein Strandpicknick, und er sagt, Du bist herzlich willkommen. Eben lädt so gut wie nie zu Festen ein, aber er sagt, dieses dient dazu, uns eine frohe Botschaft zu verkünden. Es gebe etwas zu feiern! Aber was? Möchte er eine Hochzeit ankündigen? Aber von wem? Hoffentlich will er nicht selbst heiraten, Ehefrauen lassen ihre Männer gewöhnlich abends nicht allein ausgehen, und Ebens Gesellschaft würde mir fehlen.
Deine Freundin
Isola
Juliet an Sophie
7. September 1946
Liebe Sophie,
endlich habe ich meinen ganzen Mut zusammengenommen und Amelia gesagt, dass ich Kit adoptieren möchte. Ihre Meinung bedeutet mir sehr viel. Sie hatte Elizabeth so lieb, sie kennt Kit so gut – und mich ja auch. Ich war begierig auf ihre Zustimmung – und hatte Angst, sie nicht zu bekommen. Ich würgte meinen Tee hinunter, doch am Ende brachte ich die Worte heraus. Ihre Erleichterung war so offensichtlich, dass es mich regelrecht erschüttert hat. Mir war nicht bewusst gewesen, wie sehr sie sich um Kits Zukunft sorgte.
Sie hob an: «Hätte ich nur einen …», dann hielt sie inne und fing noch einmal an: «Ich denke, das wäre wunderbar für Euch beide. Es wäre das Bestmögliche …» Dann brach sie ab und zog ihr Taschentuch heraus. Und dann zog
ich
natürlich
mein
Taschentuch heraus.
Als wir uns ausgeweint hatten, ging es ans Planen. Amelia wird mit mir zu Mr. Dilwyn gehen. «Ich kannte ihn schon, als er noch in kurzen Hosen herumlief», sagte sie. «Er wird sich nicht trauen, es mir abzuschlagen.» Amelia an der Seite zu haben, das ist, als hätte man die Sechste Armee im Rücken.
Aber es ist etwas Wunderbares geschehen, noch wunderbarer als Amelias Zustimmung. Mein letzter Zweifel ist zu Stecknadelkopfgröße geschrumpft.
Erinnerst Du Dich, wie ich Dir von der kleinen Schachtel erzählt habe, die Kit oft mit sich herumträgt und die sie rundum verschnürt hat? Die, von der ich dachte, sie enthielte am Ende ein totes Frettchen? Heute Morgen kam Kit zu mir ins Zimmer und patschte mir auf die Wangen, bis ich erwachte. Sie hatte ihre Schachtel bei sich.
Wortlos löste sie die Schnur und nahm den Deckel ab, schlugdas Seidenpapier auseinander und gab mir die Schachtel. Sophie, sie
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