Deine Juliet
vorstelle, wie nahe sie dem Erfolg waren. Gott sei Dank für Ivor und Isola – und für Billee Bees doppelzüngigen Höcker.
Ivor fliegt am Dienstag nach Guernsey, um die Briefe zu
kopieren
. Er hat für Kit ein gelbes Plüschfrettchen mit smaragdgrünen, wild funkelnden Augen und elfenbeinfarbenenFangzähnen gefunden. Ich denke, dafür wird sie ihn zum Dank küssen wollen. Du darfst auch – aber halte Dich zurück. Ich will Dir nicht drohen, Juliet, aber
Ivor gehört mir
!
Herzlichst,
Susan
Telegramm von Sidney an Juliet
26. August 1946
Nie wieder verlasse ich die Stadt. Isola und Kit haben eine Medaille verdient, und Du ebenfalls. – Sidney
Juliet an Sophie
29. August 1946
Liebe Sophie,
Ivor war da und ist wieder fort, und Oscar Wildes Briefe liegen wohlverwahrt an ihrem alten Platz in Isolas Keksdose. Ich habe, so gut es ging, wieder zu mir gefunden und warte nun ab, bis Sidney sie liest – ich brenne darauf zu erfahren, was er von ihnen hält.
Am Tag unseres großen Abenteuers war ich die Ruhe selbst. Erst später, als Kit im Bett lag, wurde ich mit einem Mal aufgekratzt und nervös und lief rastlos auf und ab.
Dann klopfte es an der Tür. Erstaunt – und ein wenig aufgeregt – sah ich durchs Fenster Dawsey vor dem Haus stehen. Ich riss die Tür auf, um ihn zu begrüßen – und fand ihn
und
Remy auf der Schwelle. Sie waren gekommen, um zu gucken, wie es mir ginge. Wie reizend. Wie geschmacklos.
Ich frage mich, ob Remy nicht allmählich Heimweh nach Frankreich haben müsste? Ich habe einen Artikel von einer Frau namens Giselle Pelletier gelesen, die fünf Jahre als politischer Häftling in Ravensbrück war. Sie schreibt, wie schwer es ist, sich als K Z-Überlebende wieder im Leben zurechtzufinden. Niemand in Frankreich – weder die Freunde noch die Familie – will etwas über die Zeit im Lager wissen, und alle meinen, je schneller man es aus dem Kopf und aus ihrer Hörweite bekommt, desto glücklicher sind alle Beteiligten.
Miss Pelletier zufolge geht es nicht darum, dass man irgendwen mit Einzelheiten belästigen will, aber es
ist nun einmal geschehen
, und man kann nicht so tun, als wäre dem nicht so. «Wir wollen alles hinter uns lassen», lautet offenbar die Parole in Frankreich. «Alles – den Krieg, die Vichy-Regierung, die Miliz, Drancy, die Juden – das ist nun alles vorbei. Schließlich hat jeder gelitten, nicht nur du allein.» Angesichts dieser staatlich verordneten Amnesie, so schreibt sie, bleibt als Ausweg nur, mit anderen Überlebenden zu sprechen. Sie wissen, wie das Leben in den Lagern aussah. Einer spricht, ein anderer antwortet. Sie reden, sie schimpfen, sie weinen, erzählen Geschichte um Geschichte, manche tragisch, manche absurd. Mitunter können sie sogar miteinander lachen. Die Erleichterung ist immens, schreibt sie.
Vielleicht wäre ein Zusammentreffen mit anderen Überlebenden eine bessere Kur für Remys Leiden als das bukolische Inselleben. Körperlich ist sie kräftiger geworden – nicht mehr so erschreckend dünn, wie sie anfangs war –, aber sie wirkt immer noch gequält.
Mr. Dilwyn ist aus dem Urlaub zurück, und ich muss bald einen Termin ausmachen, um mit ihm über Kit zu sprechen. Ich verschiebe es wieder und wieder – ich habe so fürchterliche Angst, dass er sich weigert, es überhaupt in Betracht zu ziehen. Ich wünschte, ich sähe etwas mütterlicher aus – vielleicht sollteich mir ein Busentuch zulegen. Wenn er Leumundszeugen fordert, wärst Du bereit? Kennt Dominic schon alle Buchstaben? Falls ja, könnte er Folgendes zu Papier bringen:
Lieber Mr. Dilwyn,
Juliet Dryhurst Ashton ist eine sehr nette Dame – vernünftig, sauber und verantwortungsbewusst. Sie sollten erlauben, dass Kit McKenna sie zur Mutter bekommt.
Hochachtungsvoll,
James Dominic Strachan
Ich habe Dir noch nichts von Mr. Dilwyns Plänen für Kits Erbe auf Guernsey erzählt, oder? Er hat Dawsey – und eine von Dawsey auszuwählende Truppe – damit beauftragt, das große Herrenhaus wieder instand zu setzen: die Geländer zu erneuern, die Schmierereien von Wänden und Gemälden zu entfernen, herausgerissene Rohre durch neue zu ersetzen, Fenster wieder einzusetzen, Schornsteine und Rauchfänge zu kehren, die elektrischen Leitungen zu überprüfen und die Pflastersteine der Terrasse neu zu verfugen – oder was immer man sonst mit alten Steinen macht. Mr. Dilwyn ist sich noch nicht recht schlüssig, ob die Holzvertäfelung in der
Weitere Kostenlose Bücher