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Deine Lippen, so kalt (German Edition)

Deine Lippen, so kalt (German Edition)

Titel: Deine Lippen, so kalt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Garvey
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und fängt ihn, ehe er auf den Boden prallt. Und wir gucken beide Mom an.
    Ihre Lippen sind fest aufeinandergepresst, aber sie flippt nicht aus. Stattdessen sagt sie nur: »Du bist um eins fertig, oder? Ich hole dich ab.«
    Robin atmet erleichtert auf und eilt zur Haustür, über die Schulter ruft sie zurück: »Bis nachher!«
    Und dann sind Mom und ich wieder allein. Ich werfe einen Blick aus dem Fenster in den Garten. Das Garagendach ist durch die Bäume gerade so zu erkennen und mein Magen stürzt ins Bodenlose, als ich mir den Danny aus meinem Traum vorstelle.
    Vor die Wahl gestellt, Becker zu besuchen oder nach Danny zu sehen, ist schwer zu sagen, wovor ich lieber Reißaus nehmen würde.
    Beckers Mom öffnet mir die Tür, als ich ein paar Stunden später bei ihnen schelle. Sie wirkt immer irgendwie schuldbewusst, wenn sie mich sieht, der Blick ihrer blassen Augen flackert überallhin, nur nicht zu meinem Gesicht. Schließlich hat Becker das Auto gefahren.
    »George ist oben.« Sie tritt einen Schritt zurück, um mich vorbeizulassen, und ich rieche etwas, das auf dem Herd in der Küche köchelt, gehaltvoll und würzig. Mrs Becker hat früher in der Klinik in der Stadt gearbeitet, aber nach dem Unfall hat sie ihren Job gekündigt, um sich um Becker zu kümmern. Er ist der Jüngste, ihr Baby, wie sie mir an dem Tag sagte, als ich ins Krankenhaus kam, um ihn zu besuchen, und jetzt kocht etwas vor sich hin, wann immer ich ihr Haus betrete. Ich weiß nicht, was sie mit dem ganzen Essen macht, denn sowohl sie als auch Becker sehen aus, als hätten sie seit Monaten nichts gegessen.
    Als ich an Beckers Tür klopfe, ist die Antwort ein schwaches Grunzen, das kaum das Geräusch des Fernsehers übertönt. Ich stoße die Tür auf und kneife die Augen zusammen. Die Rollos sind heruntergelassen, und im Zimmer ist es so dunkel, als wäre bereits Abend. Die einzige Lichtquelle ist der riesige Flachbildfernseher, der gegenüber vom Bett an der Wand hängt.
    Becker wirft mir einen raschen Blick zu, und ich sehe, dass er high ist. Er nimmt nach wie vor Schmerzmittel, obwohl die Ärzte wollen, dass er damit aufhört. So habe ich es zumindest gehört. Und ich weiß, dass K. J. Simon bei seinen Besuchen Gras zu ihm reinschmuggelt. Ich kann nicht glauben, dass seine Eltern es nicht riechen – er macht sich nicht mal die Mühe, zum Fenster zu rollen, wenn er was raucht, und der süße Geruch nach verbranntem Gras hängt nun in den Vorhängen und der Bettdecke.
    »Hi, Wren.« Er hat sich auf dem Bett ausgestreckt, das übel zugerichtete Bein ist immer noch geschient und sieht aus, als gehörte es nicht zu ihm. Ich nehme ein paar Zeitschriften von dem Sessel in der Ecke und setze mich, während er sich schwerfällig auf die Ellbogen stützt und sich in eine sitzende Position hievt.
    »Was guckst du da?«
    »Nichts.« Er nimmt die Fernbedienung und schaltet den Fernseher aus, und ich versuche, nicht zusammenzuzucken. Es ist einfacher, wenn er ihn anlässt, wenn wir eine Stunde lang schweigend nebeneinandersitzen und irgendeinen dummen Film gucken oder Typen auf BMX -Rädern dabei zusehen, wie sie sich fast das Genick brechen.
    Ich war nie wütend auf ihn, auch wenn das alle gedacht haben. Ich weiß, dass es das ist, was seine Mom denkt, und Becker denkt es auch. Auch er kann mir nicht in die Augen sehen, es sei denn, er hat sich extrem zugedröhnt, und dann kann er gar nicht damit aufhören zu reden, sich bei mir zu entschuldigen, zu weinen und meine Hand zu halten.
    Diese Momente sind grauenvoll.
    Ich sollte rasend vor Wut auf ihn sein. Er hat das Bier gekauft, er ist das Auto gefahren, er war viel zu schnell, lachte, passte nicht auf, war noch dazu betrunken und alberte herum, als könne nichts auf der Welt ihm und Danny etwas anhaben. Aber wenn ich ihn mir jetzt ansehe, ist da nichts als eine große Leere in meiner Brust.
    Becker war immer der Clown und er konnte es sich leisten. Er sieht auf die athletische Art gut aus. Er ist zwar nicht so groß wie Danny und ein bisschen kräftiger, aber trotzdem bewegt er sich recht geschmeidig. Seine Eltern haben Geld, die Sorte Geld, mit der man es auf gute Schulen schafft, selbst wenn man nicht die besten Noten hat. Er war immer derjenige, der Danny und Ryan dazu brachte, den Nachmittagsunterricht zu schwänzen und ein Bierchen im Wald zischen zu gehen, oder sich in einen Film zu schleichen, ohne dafür zu bezahlen.
    Niemand kann sagen, ob er je wieder ohne Krücken oder ohne zu hinken wird

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