Deine Lippen, so kalt (German Edition)
sanft, Jess und Darcia, die besorgt in der Tür zu meinem Zimmer standen, ihre Gesichter verschwommen durch meine Tränen und die schiere Erschöpfung. Bis zur Beerdigung bewegte ich mich nicht weit von meinem Bett weg, wo ich trotz der Julihitze zusammengerollt unter der Bettdecke lag und mich an einen grün-blauen Wollschal von Danny klammerte, weil er nach ihm roch.
Erst zwei Tage nach der Beerdigung, als ich die Fotos vom Unfall sah, fiel mir der fragile weiße Papiervogel wieder ein, den ich geschaffen hatte.
Die ganze nächste Woche verbrachte ich im Internet, vergraben in meinem Zimmer mit dem wimmernden Laptop, den ich mir mit Mom und Robin teilte. Am Ende des dritten Tages waren meine Augen staubtrocken, und vom ununterbrochenen Starren auf den Bildschirm tat mir der Kopf weh, aber ich hatte ein paar Ideen, wo ich mich nach Zaubersprüchen umsehen konnte. Allein der Gedanke daran jagte ein aufgeregtes Prickeln durch meinen Körper. Was immer ich auch tun konnte, es war bisher stets einfach so passiert. Ich hatte nie mehr getan, als mich auf das zu konzentrieren, was ich wollte, wie auf den Regen in Robins Zimmer. Ein Beschwörungszauber kam mir so fremd vor, so irritierend offiziell. Aber ich war mir ziemlich sicher, dass Wünschen allein Danny nicht wieder lebendig machen würde.
Letztes Jahr, bevor ich Danny kennenlernte, hatte ich Tante Mari einmal gefragt, ob sie sich je mit Beschwörungen oder Büchern über Hexenkunst beschäftigt hätte. Wir waren in dem Secondhandladen auf der South Side, durchstöberten alte Klamotten und Vintage-Sachen für ihr Halloweenkostüm, und sie sah mich über einen Ständer mit 80er-Jahre-Kleidern an und runzelte die Stirn.
»Ich sehe es nicht auf diese Weise«, sagte sie und kniff die Augen zusammen, während sie darüber nachdachte. »Ich weiß, dass andere Leute das tun, wahrscheinlich sogar einige, die können, was wir können. Aber für mich ist meine Gabe etwas, das wie selbstverständlich zu mir gehört, und genau das macht sie aus. Man findet heraus, was man tun kann, und wendet seine Fähigkeiten vollkommen natürlich an, so wie man es tun würde, wenn man herausfände, dass man eine gute Köchin ist. Dann fügt man den Speisen vielleicht eigene Zutaten hinzu oder kreiert seine eigenen Rezepte.«
Selbst für mich klang es ein bisschen nach Hokuspokus, und ich war ihr dankbar, dass sie ihre Stimme senkte. Aber sie meinte es vollkommen ernst und das wusste ich. Als ich darüber nachdachte, konnte ich mich nicht daran erinnern, je gesehen zu haben, wie sie oder Mom in einem Buch mit Zaubersprüchen lasen, und ganz bestimmt nicht, wie sie einen magischen Trank auf dem Herd brauten. Woran ich mich erinnerte, war, wie spontan es stets gewirkt hatte; Magie, die einer Laune des Augenblicks folgte, die einfach passierte.
Sie schnappte sich ein langes schwarzes Kleid vom Ständer und machte einen auf hohlwangig, während sie es sich vor die Brust hielt. »Morticia Addams ist für eine Kindergarten-Halloweenparty wahrscheinlich zu viel des Guten, hm?«
Und damit hatte es sich. Ich bohrte nicht weiter nach, damals noch nicht, und nachdem Danny gestorben war, wollte ich ganz bestimmt nicht, dass jemand argwöhnte, womit ich mich beschäftigte. Also fing ich an, im Internet und in der Bücherei herumzustöbern, und recherchierte alles, was ich über das Okkulte finden konnte.
Das Okkulte . Allein der Gedanke, dass das, was ich da tat, als okkult durchging, schien eine schreckliche Warnung zu sein, aber das hielt mich nicht davon ab. Ich sprang an einem Samstagmorgen in den Zug in die City, und es war irgendwie beängstigend, wie leicht manches von dem Zeug zu finden war, als ich erst einmal wusste, wo ich danach suchen musste. Vielleicht konnte niemand die Sprüche anwenden, der nicht meine Kräfte hatte, aber vielleicht ja doch. Und wie sich herausstellte, gab es für jemanden, der die Reise wagen wollte, überall das passende Kartenmaterial.
Ich fand das Buch, das ich brauchte, in einem kleinen Laden auf der Lower East Side. Er war winzig, eine Treppe mit wenigen Stufen führte hinunter in den Keller eines alten Reihenhauses, und der ganze Raum trug seinen Mantel aus Staub, als könne es ihm nicht mehr zugemutet werden, ihn abzulegen. Die Hälfte der Regale war leer und die Schilder hinter der Kasse waren alle in einer krakeligen Handschrift auf uraltem, vergilbtem Notizpapier beschriftet.
Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte, aber der Typ hinter dem Tresen sah
Weitere Kostenlose Bücher