Deine Lippen, so kalt (German Edition)
erledigt, und das ist nur das, was an die Oberfläche dringt. Unter all dem wird es noch viel düsterer, verrußt und dreckig, falsch und reuevoll, und ich schließe die Augen, als ich mich auf das durchgesessene Sofa fallen lasse.
Gabriel ignoriert mich und geht durch den Türbogen zur Rechten in die Küche. Ich höre Wasser laufen, das schwache Klick , als eine Gasflamme entzündet wird. Ich zittere, das Blut schießt so schnell durch meine Adern, dass es eine flammende Spur durch meinen Körper zieht, in mein Herz hinein und wieder hinaus. Ich hebe die Füße auf das Sofa und schlinge die Arme um die Knie, zwinge mich, ruhig zu werden.
Das hier ist übel. Ich weiß, es gibt stärkere Worte als übel, aber ich kann sie nicht mal denken. Ich war so dämlich, Gabriel an mich heranzulassen, und wer weiß, was jetzt noch alles passiert.
Ich schrecke hoch, als Holz über den nackten Boden scharrt, öffne die Augen und entdecke, dass Gabriel vor mir auf dem Couchtisch sitzt. Er reicht mir ein Glas Wasser.
»Hier. Bis der Tee fertig ist.«
Ich nehme es, wobei etwas über den Rand schwappt, weil meine Hand immer noch zittert. Das Wasser ist kalt und nass und genau das, was ich gebraucht habe, ohne es zu ahnen, und als ich das Glas ganz geleert habe, gebe ich es Gabriel zurück.
Seine Augen sind jetzt dunkelgrau, sie haben die Farbe eines heraufziehenden Sturms, und ich muss schlucken. Er hat Dinge von mir gesehen, die noch niemand gesehen hat, nicht einmal Mom, und das ist beängstigend. Ich will nicht ständig lügen, aber ich will auch nicht, dass man mich verurteilt.
Das mache ich selbst schon genug.
»Weiß jemand davon?«, fragt er, während er das Glas neben sich auf dem Tisch abstellt.
Ich schnaube. »Hast du sie noch alle? Wer würde mir glauben?«
Er zuckt nicht mal mit der Wimper und ich beiße mir auf die Lippe. Der rüde Kommentar ist mir so rausgerutscht, dabei hat er ihn überhaupt nicht verdient.
»Erzähl mir davon.« Er lehnt sich vor, stützt die Arme auf die Knie und ist plötzlich so nah, dass ich den Geruch aus meinem Traum auffange, Baumwolle und Jungsschweiß und noch etwas anderes, scharf und klar.
Instinkt lässt mich das Unausweichliche hinauszögern. »Was soll ich dir erzählen?«
»Alles. Ich meine, ich wusste, dass du über Kräfte verfügst, aber das ist …« Er schüttelt den Kopf. »Erzähl es mir.«
Ich wünschte, ich könnte es ihn stattdessen einfach sehen lassen. Plötzlich ist es so beschämend, meine Trauer, meine unstillbare Sehnsucht, mein selbstsüchtiger, lächerlicher Glaube, ich könnte das haben, was niemand sonst bekommt, ohne die Konsequenzen dafür tragen zu müssen.
Ich kann nicht fassen, dass ich tatsächlich dumm genug war, zu glauben, ich könnte meinen Freund von den Toten auferstehen lassen und wie im Film in ein Happy End davonspazieren.
Ich bin das Kind, das seinen Finger in die Steckdose steckt. Ich bin die Person, die vergisst, das Ablaufdatum auf der Milchpackung zu überprüfen. Ich bin die Idiotin, die nicht ein Mal nachgedacht hat, bevor sie gesprungen ist. Ich bin das Mädchen, das in diesem Moment zerbricht.
»Erzähl es mir«, wiederholt er und umschließt mit der Hand meinen Knöchel.
Anstatt dass es mich nervös macht, erdet es mich, es verbindet uns, und ich hebe den Blick und sehe ihm wieder in die Augen.
»Was hast du darüber gehört, wie er gestorben ist?«
»Spielt das eine Rolle?«
Tut es nicht, schätze ich. Tot ist tot, und ich kann mir nicht vorstellen, dass ich anders oder weniger getrauert hätte, wenn Danny an irgendeiner schrecklichen Krankheit dahingesiecht und gestorben wäre.
Was zählt ist, wie sehr ich ihn geliebt habe. Wie aufrichtig ich ihn liebte. Damit fing alles an, richtig oder falsch.
Das möchte ich Gabriel sagen, ihm zumindest so viel erklären – was ich tat, tat ich nicht aus einer Laune heraus. Ich nahm es nicht auf die leichte Schulter, selbst wenn ich mir keine Vorstellung davon machte, was es bedeuten würde.
Bevor ich jedoch etwas sagen kann, drückt er sachte mein Bein und nickt. »Ich weiß. Ich kann … ich weiß über den Teil Bescheid. Erzähl mir den Rest.«
Danny zurückzubringen war ganz und gar nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte.
Die ersten Tage, nachdem Ryan angerufen und es mir erzählt hatte, war ich nicht gerade das, was man bei klarem Verstand nennt. Ich erinnere mich an Fetzen – das rauchende Loch in meinem Fußboden, die Hand meiner Mutter auf meinem Kopf, ruhig und
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