Deine Lippen, so kalt (German Edition)
abservieren, der sie bei jedem Auswärtsspiel betrügt, und sich für den supersüßen Ian entscheiden. Er würde sie wie die Prinzessin behandeln, die sie so gerne wäre.
Sie hat jedoch keinen Funken Verstand, also steht das nicht zur Debatte. Und ich werde mich hüten, Mitleid mit Ian zu haben, weil ich sowieso glaube, dass er eher tittengeil als liebeskrank ist.
Klatsch manövriert uns sicher durch die Mittagspause und als wir die Cafeteria verlassen, scheint Jess so sehr die Alte zu sein, wie ich nur hoffen konnte. Sie stupst mich sogar mit dem Ellbogen an, neckt mich und grinst, als wir uns im Westflur trennen und unserer Wege gehen. Literatur wird dadurch leichter, weil ich Darcia erzählen kann, dass Jess und ich zusammen gegessen haben, aber nichts davon bringt das sorgenvolle, schwache Summen zum Verstummen, das direkt unter der brüchigen Oberfläche zu sitzen scheint, die mich von der Welt abschirmt.
In mir kocht alles hoch: die überschäumende Freude, dass ich meine Freundschaft mit Jess und Darcia vielleicht doch nicht komplett gegen die Wand gefahren habe, und eine heiße, mit Krämpfen verbundene Übelkeit bei dem Gedanken daran, was Danny womöglich sagen oder tun wird, wenn ich die Treppe zu ihm raufkomme. Von dem Schlamassel wird mir schwindelig, und auf dem Heimweg folgt der Wind mir auf dem Fuße, frostige, tosende Böen, die an meiner Jacke zerren und sich in meinem Nacken festsetzen.
Ich nehme zudem noch den langen Weg nach Hause, was dämlich ist. Wenn eins feststeht, dann das: Je länger ich zu ihm brauche, desto mehr wird Danny außer sich sein.
An diesem Ende ist die Dudley viel befahren, weil die North Avenue gleich um die Ecke ist, eine Wagenkolonne rauscht in beide Richtungen an mir vorbei, und ich bin absolut nicht darauf vorbereitet, als sich eine Hand auf meine Schulter legt. Ich bin so überrascht, dass ich beinah über meine eigenen Füße falle, aber Gabriel packt mich am Arm und zieht mich wieder hoch.
»Tut mir leid«, sagt er und sieht so schuldbewusst aus, dass ich unmöglich sauer auf ihn sein kann.
»Schon okay. Ich war … in Gedanken.« Ich schmiege mich in meine Jacke, während wir dort an der Ecke Dudley und Forest stehen, obwohl ich weiß, dass ich der Grund für die Finger aus kalter Luft bin, die durch Gabriels Haar fahren.
»Hey, ich wollte dir nur erzählen …« Er neigt den Kopf zur Seite, tritt ein wenig näher. »Ich habe mich etwas umgehört. Mir ist klar, du wolltest wahrscheinlich nicht, dass ich es erfahre, aber ich weiß das mit Danny.«
Ich kann nichts dagegen machen – ich höre die Worte und der Wind schlägt die Tür zu meinem Inneren auf und fährt ungehindert hindurch.
Ich erkenne meinen Fehler, kaum dass ich ihn gemacht habe. Was Gabriel meinte, war, dass er von Dannys Tod gehört habe. Wahrscheinlich hat er gedacht, es erkläre meine extremen Stimmungsschwankungen, und wollte nur nett zu mir sein. Stattdessen steht jetzt sein Mund offen, während er mich ungläubig anstarrt, und ich frage mich, was er sieht. Den Friedhof im Mondlicht, Kerzen, die in einem geschlossenen Kreis flackern? Den Garagendachboden mit seinem schmuddeligen Nest von einem Bett und den Jungen, der darauf liegt und auf mich wartet, bleich und regungslos?
»Wren.« Gabriel packt wieder meinen Arm, fester diesmal, zerrt mich von der Straßenecke weg und die Forest entlang, in den Schutz eines gewaltigen Ahornbaums, dessen nackte Zweige über uns knacken wie morsche Knochen. »Wren, was hast du getan?«
Kapitel zehn
E s ist einfach alles zu viel, die summende Energie brandet in mir auf, und über uns zerbirst mit lautem Knall ein Ast, der keinen halben Meter von uns entfernt zu Boden donnert. Gabriels Finger graben sich in meinen Oberarm, als er mich zurück Richtung Dudley steuert. Ich ringe um Luft, versuche mit ihm Schritt zu halten, und bringe schließlich heraus: »Warte, halt, zu mir geht es da lang.«
»Später«, sagt er grimmig und entschlossen, und die nächsten beiden Blocks nehmen wir wie im Flug. Blätter knirschen unter unseren Sohlen, als wir auf die Prospect zueilen. Fünf Minuten später steigen wir eine Treppe in einem verwinkelten alten Haus hoch und er steckt den Schlüssel in das Schloss der Wohnungstür vom ersten Stock.
»Setz dich«, befiehlt er mir knapp, und ich schleudere ihm entgegen: »Wer bist du? Mein Vater?« Es ist blöd und nun wirklich nicht der Punkt, aber das ist mir egal. Ich bin vor Angst wie gelähmt, panisch und völlig
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