Deine Lippen, so kalt (German Edition)
einen Kaffee bestellt.
»Hier kann ich auch nicht reden«, zische ich Gabriel zu und nehme ihm die Sprühflasche ab.
»Kein Grund, mir an die Gurgel zu gehen. Kann ich einen Kaffee bekommen?« Gabriel schlendert rüber zum Tresen und ich stelle mich seufzend an die Kaffeemaschine.
»Du bist doch nicht hier, um Kaffee zu trinken«, sage ich, sobald Geoff wieder in der Küche verschwunden ist.
»Nein, aber ich möchte trotzdem einen.« Er zuckt mit den Achseln, seine Schultern zeichnen sich eckig unter dem verwaschenen blauen Hemd und dem grünen Kapuzenpulli ab. Eine helle Strähne seines Haares fällt ihm in die Stirn. Ich weiß nicht, warum mir ständig solche Dinge auffallen, schließlich spielen sie keine Rolle. Das tun sie nicht .
»Schön, welchen darf ich dir machen?«
»Einen normalen, zwei Stück Zucker«, sagt er, nachdem er das Angebot auf der Tafel auffällig lange studiert hat.
Das stimmt mich ein wenig milder. Es ist der preiswerteste Kaffee, den wir haben, und nach gestern weiß ich, dass er wahrscheinlich nicht viel Geld für Lattes oder ähnliches übrig hat. Ich klatsche ein Schwarz-Weiß-Gebäck auf einen Teller und berechne es ihm nicht – ich weiß, dass Geoff damit kein Problem hat.
Mal abgesehen davon stehe ich in Gabriels Schuld. Es ist eine Erleichterung, ihn nicht anlügen zu müssen, auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass mir das, was er zu sagen hat, nicht gefallen wird.
»Ich will nur helfen«, sagt er leise, als er den Becher und den Teller annimmt, und ich hebe den Kopf und sehe direkt in seine merkwürdigen grauen Augen, die auf den Grund meiner Seele zu blicken scheinen.
»Ich weiß.« Ich wische abwesend mit dem Lappen über die Theke. »Tut mir leid.«
»Wann bist du hier fertig?«
»Gegen neun. Manchmal ein bisschen eher, wenn nicht viel los ist.« Ich winke Rich vom Kino an der Ecke zu, der gerade reinkommt, und Gabriel tritt einen Schritt zurück.
»Ich bin gegen acht zurück, okay? Und bring dich nach Hause?«
Es ist die einzige Möglichkeit für uns zu reden, da ich ihn bestimmt nicht zu mir einladen werde und in der Schule zu viele neugierige Blicke auf uns ruhen.
Ich werde einfach nicht darüber nachdenken, dass es auch ganz nett sein könnte, nach Hause gebracht zu werden.
»Du bist verabredet, hm?«, sagt Trevor um acht, als Gabriel zum fünften Mal am Fenster vorbeikommt. Er hat sich in eine wärmere Jacke gehüllt und einen noch billigeren Kaffee vom Diner auf der North Street in der Hand.
»Keineswegs«, blaffe ich und stoße leere Stühle mit einem wütenden Quietschen über den nackten Holzboden an ihren Platz. Das Café ist bereits leer und Geoff geht immer zur Abendbrotzeit.
»Hey, ich finde das völlig okay.«
Mein Kopf schießt hoch, als er das sagt, und ich sehe, dass er an der Kuchenvitrine lehnt und so nachdenklich guckt wie selten. Ich öffne den Mund, um etwas zu entgegnen, aber mir fällt nichts ein. Von allen Leuten, die meiner Meinung nach kein Problem damit hätten, dass ich was mit einem anderen Jungen anfange, hatte ich Trevor am wenigsten auf der Rechnung.
»Sieh mal, du hast eine schwere Zeit hinter dir«, sagt Trevor, und seine Stimme ist weicher, als ich sie je gehört habe. »Es ist schwer, wenn jemand stirbt, den man liebt. Ich weiß das, glaub mir. Aber das Leben geht weiter. Ich meine, so heißt es jedenfalls, oder? Und es stimmt.«
Ich bin so perplex, dass mir der Mund offen stehen bleibt. Trevor sieht mich nicht mal mehr an, sondern blättert stattdessen die Kassenbelege hinter der Theke durch, und nach einer Weile redet er weiter.
»Wenn man jemanden liebt, ist das Letzte, was man möchte, dass derjenige unglücklich ist. Und ich glaube, das trifft selbst dann noch zu, wenn man stirbt. Ich meine, wenn ich sterben müsste, würde ich nicht wollen, dass Geoff sich für immer nach mir verzehrt. Ein paar Monate sicher, ich denke, so viel bin ich auf jeden Fall wert, aber ich fände die Vorstellung furchtbar, dass er womöglich ewig Trübsal bläst, Fotos von mir anstarrt und sich die Seele aus dem Leib backt, um zu vergessen.«
Ist es das, was er denkt, das ich tue? Ist es das, was alle im Grunde von mir erwarten? Ich, eine Teenagerwitwe, die Danny liebt, den toten Danny, für immer und ewig, Ende der Geschichte? Gott, wenn irgendwer von ihnen wüsste, was ich stattdessen getan habe …
Mir steht immer noch der Mund offen, als Trevor hochsieht, sein Blick ist hellwach und viel wissender, als ich mir je hätte träumen
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