Deine Lippen, so kalt (German Edition)
küssen?
Ich habe kein Happy End verdient. Ich verdiene noch nicht mal ein halbwegs glückliches Ende, weil es für Danny keines geben wird. Er war vielleicht … er war vielleicht im Himmel, nach dem zu urteilen, was ich über ihn weiß, hat gemütlich in seinem Lieblings-T-Shirt gechillt, seiner Gitarre die Sorte Lärm entlockt, zu der er sie zu Lebzeiten nicht überreden konnte, und seine Bilder an die Wolken gepinnt. Das habe ich ihm genommen. Weil ich ihn wiederhaben wollte, weil ich nicht allein sein wollte.
Und auf die eine oder andere Art werde ich nun diejenige sein, die sein Leben beendet. Schon wieder. Sein Todesengel, das bin ich.
»Hey«, sagt Gabriel und reibt seine Nase an meinem Haar. »Und dann, okay? Konzentriere dich einfach darauf, dass es ein Dann geben wird.«
»Das mache ich.« Ich drehe mich um, damit ich ihm ins Gesicht blicken kann, die Backsteine scheuern an meinem Rücken, und er ist da, erwartet mich schon. Es gibt nichts mehr zu sagen, nicht in diesem Moment, also küsse ich ihn ein weiteres Mal.
Er schmeckt süß und die weiche Nachgiebigkeit seines Mundes fühlt sich an wie nach Hause zu kommen. Ich lecke seine schön geschwungene Unterlippe, bevor ich mich von ihm löse, und er atmet zitternd aus, schlingt seinen Arm fester um mich und presst seine Stirn an meine.
Dann scheint unglaublich weit entfernt.
Kapitel fünfzehn
H ey, hörst du überhaupt zu?«
Ich löse meinen Blick von dem Fenster in der kleinen Kammer zwischen Küche und Esszimmer, in die ich mich mit meinem Handy verzogen habe. Der Garten liegt dunkel im Schatten der Bäume und ich kann so eben den Umriss von Mrs Petrellis Garage ausmachen.
»Ich bin hier, entschuldige. Ich versuche nur gerade, diese letzte Matheaufgabe zu lösen.« Das ist natürlich gelogen, aber Jess wird es mir abkaufen. Ich bin in Mathe noch schlechter als sie.
»Wren, es ist gleich Mitternacht. Mach sie morgen. Oder lass sie weg und flehe Ms Nardini um Gnade an. Sie lässt dich davonkommen, wenn du vor Begeisterung über ihre Louboutin-Schuhe zu sabbern anfängst.«
»Ja klar, weil ich genau wie jemand aussehe, der töten würde, um selbst welche zu besitzen«, sage ich und rolle mit den Augen. Das Fensterbrett gräbt sich in meine Unterarme, während ich die Nase an die Scheibe drücke und in die undurchdringliche Dunkelheit spähe. Heute ist fast kein Mond am Himmel.
Mom ist erst gegen elf ins Bett gegangen und ich konnte noch eine halbe Stunde danach das leise Brummen ihres Fernsehers hören. Ich war gerade die Treppe in die Küche hinuntergeschlichen, als Jess anrief. Ich hatte ganz vergessen, dass mein Handy noch in der Tasche meines Kapuzenpullis steckte, und es tönte so schrill in der Stille, dass ich es aufklappte, ohne nachzudenken. Und mich hier reinquetschte, in die Kammer, die Mom als Stauraum für so ziemlich alles nutzt, was sie nicht jedes Mal aus dem Keller hieven oder im Flur verstreut finden will – Weihnachtsbeleuchtung, Robins Sportsachen, die Schachtel von unserem neuen Toaster, Glühbirnen. Wenigstens hat der Raum ein Fenster.
»Ich bin dafür, dass morgen Abend nicht über Hausaufgaben geredet wird«, sagt Jess streng. »Auch nicht über Darcias. Ich weiß, sie steht kurz vor dem Herzinfarkt wegen ihres Literaturessays, aber ich werde an einem Freitagabend auf keinen Fall über tote weiße Männer aus dem neunzehnten Jahrhundert reden.«
Ich hoffe nur, wir reden stattdessen nicht über tote weiße Männer aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert.
»Wo du gerade Freitag sagst, es ist schon nach Mitternacht.« Ich gähne und versuche, es möglichst echt klingen zu lassen. »Ich muss ins Bett.«
»Ich auch.« Jess seufzt. »Okay, ich seh dich dann morgen. Du, wenn dir noch was einfällt, das ich morgen Abend mitbringen soll, sag’s mir in der Mittagspause, hm?«
»Geht klar«, erwidere ich und lasse das Telefon in dem Moment zuschnappen, als wir Tschüss sagen.
Es ist kalt draußen, kälter als in den letzten Wochen, und ich zittere in meinem Pulli, während ich über den Rasen laufe und durch die Hecke schlüpfe. Mein Herz ist schon jetzt zu einer lockeren Faust geballt, es pocht schwerfällig und hart in meiner Brust. Ich schäme mich dafür, dass ich inzwischen so nervös bin, wenn ich die Treppe hinaufsteige, aber Danny hat sich seit jener ersten Nacht gewaltig verändert – als er neben mir auf dem Friedhof kniete, mich festhielt und küsste und das Lächeln lächelte, das ich so sehr liebte.
Ich zwänge
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