Deine Lippen, so kalt (German Edition)
sich. »Bin ich gestorben? Bin ich das?«
Ich stolpere, als er mich stößt, nicht heftig, aber es reicht, um mich gegen den unnachgiebigen Stamm des Baumes prallen zu lassen. Es ist sehr viel weniger, als ich verdient hätte, trotzdem muss ich eine Hand heben, um Gabriel davon abzuhalten, auf uns loszustürmen.
Er hat sich uns Stück für Stück genähert und ist nur noch ungefähr ein Dutzend Schritte entfernt, aber als Dannys Blick auf ihn fällt, scheint er über ihn hinwegzugleiten. Gabriel, ein Fremder, spielt in diesem Drama für Danny keine Rolle – es geht ihm allein um mich, um mich und um die Erinnerungen, die seinen Blick verschleiern.
Ich richte mich auf, versuche wieder zu Atem zu kommen. Mein Herz pocht wie verrückt, und der heftige Adrenalinrausch ist nichts im Vergleich zu der Energie, die inzwischen unter meiner Haut summt wie ein hitziger, aggressiver Bienenschwarm. Sie sucht einen Ausweg, und es wird allmählich schwer, sie zurückzuhalten – Angst und Schuld und Trauer füttern sie, machen sie übermächtig.
»Wren, sag es mir!«, brüllt Danny und rauft sich die Haare. Er rennt jetzt im Kreis, tritt taumelnde Spuren in das absterbende Herbstgras. »Bin ich gestorben? Was ist das hier? Ich erinnere mich, Wren!« Wir … wir hatten einen Unfall. Becker war … Das Radio war an und ich dachte … Und du, Wren, ich habe nachgedacht und nachgedacht und dann …«
Ich weiß, dass ich weine, während die Worte weiter aus ihm herausströmen, in der kalten Morgenluft fühle ich die nasse Hitze auf meinen Wangen, aber ich kann nichts dagegen machen. Ich kann mich nicht rühren, kann nichts sagen, kann nichts anderes tun, als zuzusehen, wie Danny sich erinnert.
In mir herrscht völlige Leere, bis auf ein einziges Wort, Aufhören , und es ist wie das wiederkehrende Heulen einer Alarmsirene. Aufhören, Aufhören, Aufhören . Endlos, denn hierauf haben wir die ganze Zeit schon zugesteuert.
Ich muss aufhören. Danny muss aufhören. Alles muss aufhören, bis ich das hier in Ordnung bringen kann.
Ich zucke nicht mal, als Danny sich umdreht und mich endlich wieder wahrnimmt, als sich der Erinnerungssturm verzieht und durch blankes Entsetzen ersetzt wird. Für einen Moment, der so zerbrechlich und schwerelos scheint wie eine Seifenblase, starrt er mich einfach nur an, wie ich mit geballten Fäusten dastehe, während Tränen mein Gesicht hinunterströmen.
Dann stürmt er los.
Ich höre Gabriels Füße über das trockene Gras auf mich zutrommeln, aber es ist zu spät für ihn, noch einzugreifen. Es kommt jetzt alles auf mich an, schon wieder.
Ich habe das hier noch nie getan, noch nicht einmal, wenn ich wollte, dass Danny einschlief. Da waren es bloß Worte, eine Eingebung, die ich ihm mit nichts als dem Klang meiner Stimme und dem sanften Streicheln meiner Hand auf seinem Rücken einflößte.
Das wird dieses Mal nicht funktionieren.
Also konzentriere ich alles in mir auf dieses einzelne Wort und schleudere es Danny mit der ganzen Kraft der mir zur Verfügung stehenden Macht entgegen: »Aufhören!«
Die Luft um uns knistert, blau-grün vor Ozon, und er klappt zusammen, als hätte man ihm die Fäden durchtrennt, fällt drei Schritte von mir in einem Durcheinander aus Armen, Beinen und zu langem Haar zu Boden.
Sogar Gabriel ist nicht schnell genug, um mich aufzufangen, als ich ebenfalls falle.
Kapitel siebzehn
W as immer es war, das ich getan habe, hat mich ebenso umgehauen wie Danny, und dank des pochenden Schmerzgeheuls in meinem Schädel sehe ich kaum noch etwas, während Gabriel uns zurück zu sich fährt. Als ich einen Blick auf Danny werfe, der zusammengesackt auf der Rückbank sitzt, stimmt mein Magen in den Protest mit ein, und ich muss das Fenster öffnen und meine Nase in den kalten Fahrtwind halten, damit ich mich nicht übergebe.
Ich öffne die Augen, als das Auto in der Einfahrt hinter dem großen, alten viktorianischen Haus hält, wo Gabriels und Olivias Appartement ist. Das passt mir überhaupt nicht, aber am helllichten Tag besteht keine Chance, Danny in Mrs Petrellis Garage zu verfrachten.
Nicht in dem Zustand, in dem er sich gerade befindet, jedenfalls.
Danny sieht, mehr als je zuvor, tot aus. Er ist so bleich, dass er praktisch in der strahlenden Herbstsonne schimmert, und die kalten blauen Adern in seinen Händen und Armen treten hervor wie die Linien auf einer Landkarte.
»Du wirst mir mit den Türen und so helfen müssen«, sagt Gabriel, steigt aus dem Auto und reicht mir
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