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Deine Lippen, so kalt (German Edition)

Deine Lippen, so kalt (German Edition)

Titel: Deine Lippen, so kalt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Garvey
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sage ich, als sie fort ist und Gabriel einen Arm um mich legen will. Ich zittere noch immer und allein meinen Kopf zu halten kostet ungeheure Anstrengung. In mir summt kein Funken Energie mehr, da ist bloß noch der bittere Nachgeschmack aus Adrenalin, Angst und Erschöpfung. »Nicht jetzt, ja?«
    Irgendwo auf der anderen Seite des Raumes klingelt schon wieder mein Telefon, und Gabriel steht auf. »Ich stelle es auf lautlos, okay?«
    Wahrscheinlich nicke ich nicht mal. Ich bin weg, bevor mein Kopf auf die Armlehne des Sofas prallt, und zur Abwechslung träume ich rein gar nichts.
    Als ich die Augen öffne, spüre ich ein warmes, schweres Gewicht an meinem Oberschenkel. Ich rapple mich auf die Ellbogen hoch und entdecke, dass es Gabriels Kopf ist. Er sitzt auf dem Boden neben dem Sofa und im Schlaf ist sein Kopf nach hinten gegen mein Bein gesunken.
    Die Versuchung, meine Finger durch sein feines sandfarbenes Haar gleiten zu lassen, ist beinah übermächtig, doch dann werde ich vollkommen wach, und alles, was geschehen ist, kehrt auf einen Schlag zurück. Ein Schlag, der mich mitten ins Gesicht trifft, und ich blinzle, als ich mich aufsetze, um nach einer Uhr Ausschau zu halten. Da ist keine, aber Gabriels Handy liegt auf dem Boden neben ihm. Als ich danach greife, wird er wach.
    »Hey«, sagt er und reibt sich die Augen, während ich die Zahlen auf dem Display des Handys zu entziffern versuche. Zwei Uhr. Mom muss am Ausflippen sein.
    Ich glaube, Gabriel bekommt als Antwort nur ein Grunzen von mir, denn plötzlich kann ich an nichts anderes denken, als daran, mein Handy zu finden, mir die Nachrichten anzuhören, die hundertpro auf der Mailbox sind, und mir zu überlegen, wie zum Teufel es jetzt weitergehen soll. Danny nicht mal eingerechnet, von dem ich hoffe, dass er immer noch in Gabriels Zimmer ist.
    Falls er da nicht mehr ist, wage ich gar nicht darüber nachzudenken, was als Nächstes passieren könnte.
    Mein linkes Bein ist eingeschlafen, und ich zucke zusammen, als ich es auf den Boden stelle. Es brennt und piekst wie tausend glühende Nadelstiche. Mein Kopf tut nicht mehr weh, aber mir ist immer noch etwas schlecht, ich bin völlig ausgehöhlt. Gabriel gelingt es, meine Hand zu packen, bevor ich versuchen kann aufzustehen.
    »Ich hole dir dein Handy«, sagt er, »und etwas zu trinken. Dauert nur eine Sekunde.«
    Ich werde nicht wieder weinen – es können sowieso unmöglich noch Tränen übrig sein. Aber die Güte in Gabriels Augen ist so süß und so unverdient, dass ich den Blick abwenden muss, als er meine Hand loslässt und in die Küche geht.
    Doch es gelingt mir auch nicht, einfach still herumzusitzen, und da mein Bein nicht länger taub ist, stehe ich auf und folge ihm. Die Küche geht auf den Hof hinaus und das Auto ist weg, also nehme ich an, dass Olivia ebenfalls weg ist.
    Gabriel nimmt eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank und reicht sie mir, bevor er auf mein Telefon deutet, das auf dem Tisch liegt. Er scheint noch nicht richtig wach zu sein, und es ist so still in der Wohnung, dass ich nur nicke.
    Ich werfe einen Blick auf die geschlossene Tür, hinter der Danny ist, dann nehme ich das Handy mit ins Wohnzimmer und setze mich damit aufs Sofa. Früher oder später werde ich zu ihm hineingehen müssen, und die Tatsache, dass ich mir lieber die wütenden Nachrichten auf meiner Mailbox anhöre, als genau das zu tun, lässt aufs Neue Übelkeit in mir aufsteigen.
    Ich habe vier Nachrichten und sechs SMS , was weniger ist, als ich erwartet hatte. Moms erste Nachricht klingt zögerlich und ein bissen verwirrt: »Wren? Hast du dich irgendwie verspätet? Die Schule hat angerufen und gesagt, du wärst nicht beim Anwesenheitscheck gewesen. Ist alles in Ordnung?«
    Die nächsten beiden Nachrichten von ihr sind nicht so nett, und die von Jess ist kurz aber prägnant: »Wo zum Teufel bist du, Wren?«
    Die SMS sind bis auf eine alle von Jess. Die eine ist von Dar und liest sich schlicht: WREN ? Es ist nur ein Wort, aber ich sehe sie vor mir, wie sie es tippt, das Haar fällt ihr ins Gesicht, sie runzelt verwirrt die Stirn und presst die Lippen aufeinander.
    Ich bin so was von geliefert. Auf jede denkbare Art und Weise. Sogar auf Arten, die noch nicht erfunden wurden. Die Versuchung ist groß, mein Handy erneut durch den Raum zu pfeffern, vom Sofa aufzustehen, aus dem Appartement zu spazieren und einfach … immer weiterzulaufen. Weiterzulaufen, bis ich nicht mehr gehen kann, bis ich das Ende der Welt erreicht

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