Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Deine Schritte im Sand

Deine Schritte im Sand

Titel: Deine Schritte im Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne-Dauphine Julliand
Vom Netzwerk:
über das Vordringen der eigenen Truppen, und der Generalstab des Zimmers Obelix erwartet den Rapport mit großer Ungeduld. Die erste Chimärismus-Analyse soll zwei Wochen nach dem Eingriff stattfinden. Wir müssen uns noch gedulden.

Z ABETH ÖFFNET DIE TÜR und bleibt wie angewurzelt auf der Schwelle stehen. Durch das Wohnzimmer zieht sich eine fröhlich singende Menschenkette. An der Spitze marschiert Gaspard mit einem Radiogerät, das bis zum Anschlag aufgedreht ist. Loïc hat Thaïs im Arm und folgt seinem Sohn laut singend. Ich bin die Letzte in der Reihe und kann dem zappligen Rhythmus dieses spontanen Tanzes nur mit Mühe folgen. Wir bemerken nicht einmal, dass Loïcs Schwester angekommen ist, denn wir sind einfach nur glücklich. An diesem Nachmittag ist Thaïs nach einer zusätzlichen Woche im Krankenhaus endlich nach Hause gekommen.
    Zabeth stellt ihr Gepäck ab und wirft sich ins Vergnügen. Sie ist für einige Tage zu Besuch gekommen und hatte erwartet, uns niedergeschlagen und erschöpft vorzufinden. Gestern wäre das vielleicht auch so gewesen, aber heute nicht. Heute wird gefeiert. So lange haben wir auf diesen Augenblick gewartet, und alle hatten wir insgeheim befürchtet, dass er nie mehr kommen würde. Aber nun ist es so weit. Thaïs ist hier bei uns. Tanzend werden wir vom Glück beflügelt und fortgetragen. Gaspard hat das ganze Haus geschmückt. Er hat seiner Schwester Blumen ins Zimmer gestellt, ein selbst gemaltes Bild auf ihrem Nachttisch deponiert und unter ihrem Kopfkissen Bonbons versteckt. Ich habe ihm nicht gesagt, dass Thaïs sie nicht essen darf. Heute wäre nicht der richtige Zeitpunkt dafür.
    Thaïs hat keine Zeit, sich auszuruhen. Kaum ist sie zu Hause, als ihr Bruder sich auch schon des Buggys bemächtigt, sie durch das ganze Haus schiebt, sie in seine geheimen Lieblingsecken und Schätze einweiht und ihr von seinem Alltag in Marseille erzählt. Er nimmt sie mit in den Garten, zeigt ihr seine Spielgeräte und seine Entdeckungen und macht sie auf die grünen Sittiche aufmerksam, die im benachbarten Park nisten. Er präsentiert ihr seine neue Umgebung – eine kleine Welt, die sie ab sofort teilen dürfen. Endlich!
    Thaïs ist von den vielen Neuerungen überfordert. Der Wechsel ist für sie, die von Marseille bisher nur ein Zimmer im Krankenhaus kannte, ziemlich heftig. Sie ist gesundheitlich noch nicht völlig wiederhergestellt, und wir haben Anweisung, sie zu schonen. Morgen. Heute allerdings dürfen sie und Gaspard ihr Wiedersehen feiern.
    Zabeth, Loïc und ich profitieren ebenfalls von der glücklichen Atempause und feiern mit. Wir machen es uns in Hängematten gemütlich und genießen ein Glas kühlen Rosé-Weins. Die Luft ist mild und sehr angenehm. Der Gesang der Zikaden und das Jubeln der Fans von der nahen Radrennbahn sind zu hören. In roter Pracht senkt sich die Abendsonne zum Horizont. Ja, heute ist wirklich ein wundervoller Tag.
    TROTZ BLUMEN IN DER VASE , Kuscheltieren auf dem Bett und Bildern an den Wänden sieht Thaïs’ Zimmer aus wie ihr Krankenzimmer in der Klinik. Nichts kann das ändern, vor allem nicht, nachdem das Spezialbett, die Beutel mit Nährlösung, die Kompressen, Pflaster, Röhrchen und alle anderen bei einer Gastrostomie nötigen Utensilien geliefert wurden. Und das Krankenhausleben beschränkt sich nicht nur auf das Inventar. Es bestimmt unseren Stundenplan und gibt uns seinen Rhythmus vor. Thaïs geht es immer schlechter. Ihre Schmerzphasen werden häufiger und intensiver. Im gleichen Maß steigt der Verbrauch an Schmerzmitteln an. Die Prozedur wird allmählich wirklich lästig. Vom frühen Morgen bis zum späten Abend vergeht nicht eine Stunde, ohne dass wir ein Medikament verabreichen oder etwas anderes für Thaïs unternehmen müssen. Jeden Tag haben wir ein bisschen mehr zu tun. Loïc und ich betätigen uns als Eltern, Krankenpfleger und Gesellschafter. Ich muss zugeben, dass mir dabei nicht ganz wohl ist, denn ich fürchte, dass wir auf Dauer mit der Vielzahl der Aufgaben überfordert sind. Doch das ist nun einmal der Preis für das Glück zu sehen, wie es Thaïs zu Hause gefällt.
    Während der Wochen in der Klinik, in denen Thaïs darum kämpfte, am Leben zu bleiben, hat sich die Krankheit andere Schauplätze gesucht und die Beweglichkeit meiner Tochter stark eingeschränkt. Thaïs kann ihre Arme fast nicht mehr gebrauchen, ihren Kopf nicht mehr gerade halten und nicht mehr selbstständig sitzen. Aber sie möchte gern sitzen. Vor allem bei

Weitere Kostenlose Bücher