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Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
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du immer so gern genascht hast.«
    Es entsteht ein langes Schweigen, bis Amy plötzlich ein wenig Luft ausstößt und den Kopf schüttelt. »Das ist verrückt. Hier steckt wirklich mein alter Körper drin. Und ich bin in diesem neuen und habe nicht mal gemerkt, was mit dem hier geschehen ist.« Mit der Nasenspitze deutet sie auf das Gefäß in ihren Händen; dann reicht sie es zurück an Evelyn. »Ihr glaubt gar nicht, wie belanglos viele Dinge werden, wenn man erst einmal tot ist «, erklärt sie gedankenverloren. »All diese Kleinigkeiten, über die man sich aufregt und die einen bislang um den Verstand zu bringen schienen, zählen plötzlich nicht mehr. Ein Körper, egal ob hübsch oder hässlich, ist immer nur die Hülle einer Seele. Man sagt oder liest das ja immer wieder. Noch während man lebt, mag dieser Satz schon abgedroschen klingen, bevor seine wahre Bedeutung überhaupt verständlich werden kann. Ein Körper ist ... nichts. Die Seele bleibt. Ich bin mir sicher, dass meine Erinnerungen mich normalerweise hätten verlassen sollen, aber meine Seele wäre immer dieselbe geblieben.«
    Ich sehe, wie ihr ein Gedanke durch den Kopf schießt.
    »Mom, Dad? Fällt es euch eigentlich schwer, mich in diesem neuen Körper zu akzeptieren?«
    »Nein!«, erwidert Evelyn sofort und in voller Glaubwürdigkeit, doch Peter schweigt. Er scheint zu grübeln, und wie gewöhnlich bedenkt er seine Antwort genau, um nichts Falsches zu sagen. Einer der Charakterzüge, die ihn ausmachen und die ich sehr an ihm schätze. Es gibt genügend Menschen auf dieser Welt, die entweder unbedacht drauflos reden oder aber alles sagen, was ihr Gegenüber gerade hören möchte. Peter tut nichts dergleichen.
    Er ist immer aufrichtig und stets sehr bedacht darauf, die trefflichsten aller Worte zu wählen.
    »Hm, na ja«, beginnt er schließlich. »Also, um ehrlich zu sein … Es ist schon eigenartig für mich. Du siehst überhaupt nicht so aus wie die Amy, die wir kannten, aber … na ja … du
bist
nun mal die Amy, die wir kannten. Und das ist wohl das Einzige, was wirklich zählt. Insofern hat auch bei mir die Seele über den Körper gesiegt. Mit Anlaufschwierigkeiten zwar, zugegeben, aber immerhin, sie hat gesiegt.« Sein Lächeln hat etwas Triumphierendes an sich, und seine Finger gleiten liebevoll über Amys Handrücken. »An alles andere werde ich mich schon noch gewöhnen. Und es ist ja nicht gerade so, dass du unansehnlich bist. Ehrlich: Hättest du nicht etwas hässlicher werden können? Jetzt habe ich
noch
eine Tochter, die mich nachts um den Schlaf bringt. Ich krieg noch Ringe unter den Augen.«
    »Dad!«, ruft Amy empört und wir brechen alle in schallendes Gelächter aus.
    Nach dem Frühstück führt Evelyn uns durch den Rest des Hauses. Amys altes Zimmer ist nun Sams Reich, und in dem ehemaligen Gäste- und Arbeitszimmer ist Jenny untergebracht.
    Elena wohnt bereits allein. Sie hat ein Zimmer in einer Mädels-WG in der Stadt. Es ist bestimmt eigenartig für Amy, ihre ehemalige Zimmertür zu öffnen und dahinter einen völlig veränderten Raum vorzufinden: ein typisches Jungen-Jugendzimmer mit Postern von bekannten Baseballspielern und Popstars an der Wand. Nichts erinnert mehr an Amys Kinderzimmer – sogar der ehemals weiße Wandschrank ist mittlerweile knallrot. Für einen Moment frage ich mich, ob es ihr so vorkommt, als hätte man die Erinnerungen an sie ausgelöscht.
    Aber nein, Amy fasst sich schnell und bewundert Sams vermeintlich guten Musikgeschmack, anstatt sich düsteren Gedanken auszuliefern. Sie erkennt eine Band auf den Postern, deren Musik sie in den letzten Monaten auch für sich selbst entdeckt hat. Glücklich strahlt sie mich an, eine Augenbraue hochgezogen – triumphierend. »Muse!«
    »Ja, ja«, erwidere ich mit einem Zwinkern. »Eindeutig Geschwister.«
    Ich kann der Musik dieser Band überhaupt nichts abgewinnen, aber wir müssen uns ja auch nicht in allem einig sein.
    Evelyn lächelt und legt den einen Arm um mich und den anderen um Amy. »Ich bin so froh, dass ich euch wieder in meinem Leben habe«, gesteht sie und drückt uns an sich. Für mich ist das eigenartig, so etwas von ihr zu hören. Dass sie Amy unglaublich vermisst hat, ist natürlich klar. Aber mich? Ich tue diese Äußerung als eine nette Floskel ab und lächele höflich zurück, doch Evelyn spürt meine Zweifel offenbar.
    Abrupt lässt sie Amy los und wendet sich nun mir zu. Sie muss sich auf die Zehenspitzen recken, um mein Gesicht fest in ihre

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