Deine Seele in mir /
deshalb auch nur noch schlecht riechen kann, wähle ich ein relativ geruchsneutrales Basisöl.
Ich hole mein Handy aus der Gesäßtasche meiner Jeans und lege es auf den kleinen Couchtisch. Dann knie ich mich über Wilson, knete meine Hände und wärme ein wenig Öl zwischen meinen Fingern, bevor ich ihn berühre. Meine Schultern lockern sich. Mein Blut scheint sich zu sammeln und in meinen Fingerspitzen zusammenzufließen. Leicht fahre ich über Wilsons Rücken; seine Wirbelsäule hinab, unmittelbar über seinem Gürtel gleite ich zu seinen Seiten und von dort aus wieder nach oben zu seinen Schulterblättern. Nichts.
Doch plötzlich, als ich an seinem Nacken angekommen bin, vertieft sich die Dunkelheit vor meinen geschlossenen Augen.
Als würde man einen Stein in stilles Wasser fallen lassen, ziehen sich immer größer werdende Kreise durch das unergründliche Schwarz. Langsam, sehr langsam, entsteht ein Bild vor meinem geistigen Auge wie ein Gemälde.
Erst als die Farben klarer werden – greller – erkenne ich, dass es tatsächlich ein Gemälde ist. Und zwar Amys! Es ist das große Bild, das Tom und Kristin im Gästezimmer aufgehängt haben.
Ich spüre einen starken Herzschlag, schnell und nervös, von hektischem Atmen begleitet. Es ist Wilson.
Dieses Bild ängstigt ihn! Und dann, plötzlich, verändert sich das Motiv. Es wird lebendig. Die Sonnenblumen wiegen sich im sanften Wind, unter den Füßen der rennenden Kinder knicken einige von ihnen weg.
Ausgelassen laufen die beiden hintereinander her. Fröhlich und unbeschwert bahnen sie sich ihren Weg durch das riesige Feld. Doch mit einem Mal sind sie nicht mehr nur die in Öl gemalten Figuren – sie sind real.
Oder genauer:
Wir
sind real – Amy und ich.
Der Atem ist nun ruhiger geworden und tiefer, sehr viel tiefer.
Das Bild ändert sich schlagartig. Plötzlich ist alles sehr diffus.
Es flackert und wackelt, dass ich kaum etwas erkennen kann. Ich brauche eine Weile, um zu realisieren, dass ein schneller Wechsel von Schatten und Licht die Schuld daran trägt. Immer wieder werde ich für kurze Zeit geblendet, und unmittelbar danach brauchen meine Augen erneut einige Sekunden, um sich an die plötzliche Dunkelheit zu gewöhnen.
Es sind Blätter, wird mir plötzlich klar. Ich schaue durch Blätter, die sich im Wind hin- und herwiegen. Durch einen Busch vielleicht. Eine Hand – Wilsons Hand, denn ich erlebe diese Vision offenbar aus seiner Perspektive – schiebt vorsichtig einige Äste zur Seite und legt die Sicht auf ein weites Sonnenblumenfeld frei.
Mir selbst läuft in diesem Moment ein eiskalter Schauder über den Rücken. Alles in mir schreit laut auf. Ich möchte nur noch aufstehen und wegrennen, doch ich kann nicht. Ich stecke fest in dieser Vision – in Wilsons Erinnerung –, und alles nimmt seinen unaufhaltsamen Lauf.
Der Atem – sein Atem – beschleunigt sich in freudiger Erregung, als sich die Kinder ihm nähern.
Zunächst sehe ich nicht mehr als einen hellen Strohhut und wehende, blonde Zöpfe. Doch dann, je weiter sich die Kinder ihren Pfad durch die hohen Stengel bahnen, sehe ich auch den Jungen, der hinter dem lachenden Mädchen herläuft.
Ahnungslos rennen sie durch das riesige Feld goldgelber Blumen. Freiheit und Sorglosigkeit spiegelt sich in ihren Gesichtern wider, deutlich höre ich ihre ausgelassenen Stimmen.
Hinter seinem Busch stöhnt Wilson auf – leise genug, um gerade nicht bemerkt zu werden. Eine Hand gleitet in seinen Schritt herab, als die Kinder am Bach ankommen und sich schnell ihrer Kleidung entledigen. Sein Fokus ist auf das arglose blonde Mädchen gerichtet. Auf Amy. Nackt tollt sie im Bach herum. Sie lacht fröhlich, ganz und gar in ihr Spiel vertieft.
Der schwere Atem des Mannes beschleunigt sich, ebenso wie die Bewegungen seiner Hand. Er beißt sich auf die Innenseite seiner Wangen, als er seinen Höhepunkt erreicht. Nur, um ja nicht zu schreien. Nur, um seinen eigentlichen Plan nicht zu gefährden. Denn das hier ist nur das Vorspiel. Ein Vorspiel, das er tagtäglich betreibt. Seit einigen Wochen.
Als er sich befriedigt hat, nimmt er seine Angel und die Dose mit den Ködern – kleinen Flusskrebsen – und zieht sich langsam durch das schützende Dickicht zurück. Als er außer Hörweite ist, beginnt er, unbeschwert zu pfeifen.
Verdammt, wir hätten auf unsere Eltern hören sollen. Warum haben wir auch nackt gebadet?
Meine Vision verschwimmt, und ich hoffe inständig, ihr endlich zu entkommen. Doch
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