Deine Seele in mir /
wenig beschämt nehme ich ihre Jacke entgegen.
»Eine Zwischenlösung, hm? Wie sieht denn die Endlösung aus?«
Oh, diese Frage kommt direkt. Erwartungsgemäß fühle ich mich überrumpelt. Gott, wann genau ist eigentlich dieser verklemmte Eigenbrötler aus mir geworden? Als ob ich die Antwort nicht kennen würde.
»Ein Holzhaus. Am See.«
»Das klingt aber nett. Ist das schon lange dein Wunsch?«
»Schon ziemlich lange. Wir ... also ich ... wollte immer schon ein Haus am See haben, seitdem ich mich zurückerinnern kann.«
»Wer ist denn
wir
?«
Mist, es ist ihr also nicht entgangen.
»Hm? Oh, eine Kindheitsfreundin von mir und ich«, erkläre ich so beiläufig wie möglich, während ich Mary das Wasserglas reiche. »Wir haben uns immer gegenseitig vorgeschwärmt, wie unser perfektes Haus aussehen müsste, und dabei versucht, uns gegenseitig zu übertrumpfen.« Die unschuldige Romantik dieser Erinnerung geht durch die Nüchternheit meiner Schilderung verloren. In meinem Herzen lebt sie jedoch wieder auf, und ich muss mich räuspern – wie immer, wenn sich meine Kehle bei dem Gedanken an Amy verschnürt. Mary lächelt unbeirrt; meine plötzliche Atemnot ist ihr offensichtlich verborgen geblieben.
Gott sei Dank!
»Und, weiß deine Sandkastenliebe, dass du jetzt für eine andere Frau die halbe Winterkollektion von Prada und Armani aufgekauft hast?«
»Nein.« Lächelnd stoße ich ein wenig Luft aus. »Es gibt aber auch nichts, was sie wissen müsste. Diese Frau, für die ich die Sachen gekauft habe ...«
Einen Moment lang spiele ich mit dem Gedanken, Mary die Wahrheit zu sagen, doch dann entscheide ich mich dagegen. »... Sie ist die Freundin eines Freundes. Er wollte sie überraschen, hatte aber keine Ahnung, was genau er ihr schenken sollte. Außerdem liegt er zurzeit im Krankenhaus. Ich erzählte ihm, dass ich eine Frau mit ... ähm ... exzellentem Modegeschmack kenne, die mir, also ... streng genommen
ihm
... sicherlich helfen könnte. Dieses Angebot hat er dankend angenommen.«
Mary schaut skeptisch, lächelt aber nach wenigen Sekunden. »Oh, vielen Dank für das Kompliment über den exzellenten Geschmack.«
Jetzt erst fällt mir auf, dass sie den lilafarbenen Pullover trägt, den ich ihr geschenkt habe. »Und für das Vertrauen«, fügt sie hinzu. Dann wird ihr Blick schelmisch. »Du hast also wirklich Freunde, Matthew Andrews?«
Mit gespielter Empörung schaue ich sie an. »Ja, natürlich.«
Schon wieder eine Lüge.
Verdammt, Matt, lass das nicht zur Gewohnheit werden, durchfährt es mich.
Mary lacht. »Entschuldige die dreiste Nachfrage. Es ist nur so: Ich arbeite seit fast zwei Jahren in der Praxis. John und Megan kenne ich mittlerweile ziemlich gut, manchmal gehen wir sogar zusammen aus. Wir tanzen oder trinken etwas miteinander, aber du? ... Du bist nach wie vor ein Buch mit sieben Siegeln für mich. Was ja zugegebenermaßen auch interessant ist, aber so langsam würde ich schon gerne mehr über dich erfahren.«
Ihre Augen haben plötzlich diesen bestimmten verführerischen Glanz, dem ich nicht standhalten kann, und so senke ich schnell meinen Blick.
»Wenn es allerdings so ist, dass du Freunde hast – wovon ich nicht ausgegangen war – dann kann ich ja wieder gehen. Mein Besuch war in reinem Mitleid begründet.«
Das ist nicht wahr, das weiß ich genau.
Dennoch bringt mich Marys Charme und die Art, wie sie unter ihren langen, niedergeschlagenen Wimpern zu mir emporblickt, zum Schmunzeln. Wenn sie geht, bin ich wieder allein, und Einsamkeit bedeutet Konfrontation. Aus meinem tiefsten Inneren meldet sich die Angst zurück und bringt mich zu dem Entschluss mitzuspielen.
»Darf ich das Geschenk denn trotzdem behalten?«
Der Kommentar bringt mir einen Klaps gegen den Oberkörper ein.
»Das glaube ich ja wohl nicht. Du würdest mich einfach so gehen lassen?«, fragt sie mit weit aufgerissenen Augen.
»Ja, sicher! Du bist doch ein freier Mensch ... Allerdings
möchtest
du gar nicht gehen, Mary. Das weißt du doch so gut wie ich.«
Fast erschrecke ich selbst ein wenig über meinen selbstsicheren Ton. Ich gehe ein paar Schritte auf Mary zu und sehe ihr direkt in die Augen. Diesmal hält sie
meinem
Blick nicht stand, was mich durchaus ermutigt.
»Los, mach schon auf!«, befiehlt sie mir hastig und zeigt auf das kleine Päckchen, das ich auf dem Küchentresen abgelegt hatte.
Als ich den Pappdeckel lifte, muss ich wirklich lachen. Die Schachtel ist bis oben hin mit Schokoriegeln
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