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Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
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Amys Glas voll und stellt es vor mir ab.
    »Hier, dein Orangensaft«, sage ich und schiebe es scheinbar beiläufig zu ihr hinüber.
    Sofort streckt sie ihre Hand aus, ergreift das Glas und leert es mit langen Zügen. Mein triumphierender Blick wandert für eine Sekunde zu Kristin, die ihn strahlend erwidert.
    »Kein Morgen ohne Orangensaft, hm?«, sage ich leise. Das sind exakt die Worte, die mir von Amys Mutter noch im Kopf sind. Wieder dieses Zucken ihrer Mundwinkel, etwas deutlicher dieses Mal. »Schenk mir ein Lachen, Amy«, fordere ich sie glücklich auf, doch es bleibt bei dem vagen Ansatz eines Lächelns.
    Nur nicht ungeduldig werden, Matt, ermahne ich mich innerlich und drücke Amys Hand.
    »Bald lachst du, ich weiß es.«
    Kristin ist so schon völlig überwältigt. »Sie hat gelächelt«, wispert sie Tom zu, als er sich endlich zu uns gesellt.
    Ihm scheint nach wie vor ein wenig unwohl zu sein. Gestern noch mittendrin, als Julies Vater, versetzt er sich nun selbst in die Rolle des stillen Beobachters.
    Nach dem Frühstück verfällt Amy wieder in ihr monotones Schaukeln; leise summt sie dabei vor sich hin. Doch nun weiß ich, was sie da summt, und ich beschließe, zu reagieren.
    Sie
muss
wissen, dass jemand sie hört – dass ich sie höre.
    »Komm, Amy«, sage ich schlicht und stehe auf. Und tatsächlich – prompt erhebt sie sich und folgt mir. Ihr Blick ist starr geradeaus gerichtet, sie sieht mich nicht an; doch sie folgt mir, und das allein ist schon ein Wunder. Ein wenig steif läuft sie zuerst an Kristin und dann an Tom vorbei, die beide sofort den Weg räumen und uns mit großen Augen nachschauen.
    Es ist schlichtweg bewundernswert und ein Akt wahrer Elternliebe, wie selbstlos die beiden mir freie Bahn lassen und sich sofort in den Hintergrund zurückziehen, wenn ich mich mit Amy beschäftige. Als sie sich auf dem Fußboden vor dem Kamin niederlässt, beginnt sofort das Schaukeln wieder.
    »Weißt du was, Amy? Wenn du es allein nicht schaffst, deine Welt zu verlassen, dann hole ich dich halt ab«, verkünde ich ihr meinen Entschluss.
    Kristin und Tom sind in einigen Metern Abstand stehen geblieben.
    Mit einer Mischung aus Faszination und Angst sehen sie auf uns herab.
    »Habt ihr so viel Vertrauen in mich, dass ihr uns allein lassen würdet? Ich schätze, wir brauchen Ruhe. Und auf keinen Fall irgendeine Art von Ablenkung.«
    »Gut«, beschließt Tom, ohne mein Vorhaben genauer zu hinterfragen. »Komm, Schatz.«
    Es ist Toms und Kristins erster gemeinsamer Spaziergang seit vielen Jahren – und ihr Vertrauen ehrt mich, denn Amy und ich bleiben für die nächsten zweieinhalb Stunden allein.
    Sobald die Haustür ins Schloss fällt, legt sich eine tiefe Ruhe über mich. Nun fühle ich mich unbeobachtet und ... ja, viel freier. Vielleicht benötige ich die Zweisamkeit mit Amy viel stärker als sie.
    Vorsichtig greife ich nach ihren Händen und stimme leise in ihr Summen ein. Doch ich singe den kleinen Text über die Töne. Unseren Freundschaftsschwur: »Eine Bitte habe ich: Vergiss es nie, mein treues Wort. Wo du auch bist, ich bin bei dir. Hier, so wie an jedem Ort!«
    In einer Endlosschleife wiederhole ich die Zeilen. Ebenso unermüdlich summt Amy die Melodie dazu. Ich schaukle mich in den gleichen sanften Wiegebewegungen – hin und her – als würde sie mich führen. Ohne den geringsten Druck halte ich ihre Hände und streiche mit meinen Daumen sanft über ihre Handrücken.
    Wir sitzen einander gegenüber und sehen uns an, doch Amys Blick geht nach wie vor durch mich hindurch. Stunden verbringe ich in dieser Position. Auch als Kristin und Tom wiederkommen und sich einen verwunderten Blick zuwerfen, was ich nur aus meinen Augenwinkeln sehen kann, unterbreche ich unser gemeinsames Schaukeln nicht.
    Summend, wie Amy, wiege ich mich zu ihrer kleinen Melodie.
    Tom und Kristin huschen auf leisen Sohlen in die Küche und kommen nur zum Vorschein, wenn es nicht zu vermeiden ist.
    Meine Beine kribbeln unangenehm, meine Arme sind schwer wie Blei. Ich frage mich schon seit geraumer Zeit, wie Amy diese Haltung so lange aushält, als ich einen sanften Druck auf meine Hände spüre.
    Ihre Daumen rühren sich.
    Amys Blick kündigt mir die Änderung ihres Zustands an. Sie blinzelt einige Male schnell hintereinander, dann ist sie plötzlich da. Ein kalter Schauder rinnt meinen Rücken hinab, als das Grün ihrer Augen klar wird und sie mich so tief ansieht wie noch nie zuvor. »Matt!«
    Es reicht nur für wenige

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