Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
Vom Netzwerk:
Sekunden. Wir sprechen nicht, denn mir fehlen die Worte. Sie blickt auf ihre Hände hinab, die ich noch immer in meinen halte. Dann schaut sie zurück in meine Augen und lächelt. Schon sehe ich, wie ihr Blick wieder abdriftet, und nur einen Moment später schaut sie erneut starr durch mich hindurch. Die Frage, ob ich vielleicht nur geträumt habe, verwerfe ich schnell, denn der Druck ihrer Berührung kribbelt, wie zum Beweis, noch immer in meiner Hand.
    Ausgelaugt sacke ich auf dem Teppichboden zusammen und schlafe an Ort und Stelle ein.
    Ich träume sogar.
    Von Amy, wie ich sie einmal kannte. Sie sitzt an ihrem Klavier und spielt mir mein Lied vor. Die Melodie zupft an mir und zieht mich sanft aus meinem Schlaf.
    Was für eine Art, geweckt zu werden, denke ich beim Erwachen.
    Der Traum endet, die Musik bleibt. Ich brauche einige Sekunden, um zu realisieren, dass Amy tatsächlich am Klavier sitzt und für mich spielt. Zumindest fühlt es sich so an, als würde sie für mich spielen.
Mein
Lied.
    Tom und Kristin sind nach wie vor in der Küche.
    Ein Blick auf die Uhr am Kamin verrät mir, dass ich nur zehn Minuten geschlafen habe.
    Schwerfällig rappele ich mich auf und stelle mich hinter Amy. Mit aller Vorsicht lege ich meine Hände auf ihre Schultern.
    »Ich hätte es wissen müssen, als du es zum ersten Mal gespielt hast«, flüstere ich ihr zu. »So oft spielst du mein Lieblingslied, und ich begreife es nicht. Es tut mir so leid, Amy.«
    Abends massiere ich sie, wie immer vor dem flackernden Kamin. Dieses Mal mische ich auch wieder ihren Duft an, den ich nach der ersten Massage vernachlässigt hatte.
    Mein Magen verschnürt sich bereits beim ersten Atemzug, doch dieses Mal schaffe ich es besser, die Kontrolle zu bewahren, denn nun habe ich ein klares Ziel vor Augen. Routiniert finden meine Hände ihre Positionen, und ich versuche, mich einzig und allein auf Amy zu konzentrieren. Das ist nicht leicht.
    Immer wieder verlieren sich meine Gedanken.
    Kann das alles wirklich wahr sein? Amy, sie lebt! In einem fremden Körper zwar, aber ... sie lebt! Gott, was würden ihre Eltern sagen? Können wir überhaupt das Risiko eingehen, jemandem ihre Geschichte zu erzählen, oder bedeutet das unsere Zwangseinlieferung in eine geschlossene Anstalt?
    Und wenn Amy wirklich jemals aus ihrer Starre findet, wie wird sie dann wohl auf Tom und Kristin reagieren?
    Verdammt noch mal, Matt, konzentrier dich! Alles zu seiner Zeit. Zuerst musst du sie finden, ermahne ich mich.
    Der Raum verliert an Schärfe. Er verschwimmt vor meinen Augen, die sich genau in diesem Moment wie von allein schließen. Dann, endlich, bin ich allein.
    Zielstrebig laufe ich durch das hohe, leicht feuchte Gras einer gigantischen Blumenwiese. Ich kann Amy zwar nicht sehen, doch ich spüre ihre Anwesenheit und kenne den Weg, der mich zu ihr führt.
    Und plötzlich liegt sie vor mir. Glücklich und völlig entspannt. Der Wind bläst sanft in ihr Haar und biegt die Grashalme, die sie umgeben.
    Er würde kommen, ich spürte es. Ich wusste zwar nicht, was mir diese Gewissheit gab, ihn bald wiederzusehen, doch er würde kommen, ganz sicher. Das Gras meiner Wiese war plötzlich so grün wie noch nie zuvor.
    Ein milder Geruch – kaum mehr als eine Ahnung –
von Honig und Lavendel vermischte sich mit dem Duft der Blumen. Diese eigene und doch so vertraute Geruchsmischung war wie ein Vorbote, ein verheißungsvolles Versprechen.
    Ich spüre seine Nähe, noch bevor sich das Schwarz seiner Silhouette ins Licht schiebt. Die Strahlen der Sonne brechen sich an ihm.
    Erst als er sich herabbeugt, sehe ich sein liebes Gesicht. Wie tief er sich bücken muss, wie groß er ist – und wie unglaublich schön. Seine samtbraunen Augen blicken auf mich herab.
    Schüchtern, wie schon immer. Verlegen fährt er sich durch den dunklen Wuschelkopf.
    »
Du bist wieder da«, stelle ich fest, als er sich neben mir niederlässt. Sein Mund verzieht sich; er schenkt mir dieses heimliche, schiefe Lächeln, das wohl nur ich kenne.
    »
Ja, natürlich. Aber ...«
    »
Ja?« Bitte, kein Aber.
    Sein Lächeln bleibt unangetastet, doch sein Blick trübt sich.
    »
Amy, ich kann dich hier nicht mehr aufsuchen. Du musst mit mir kommen, so wie vorhin, als du kurz ... aufgetaucht bist. Es ist an der Zeit für dich zu leben. Es gibt Menschen, die dich lieben, die auf dich warten.«
    Seine Worte klingen wie ein dringliches Gebet. Mit seiner ruhigen, tiefen Stimme verleiht er ihnen eine Bedeutungsschwere, die mich

Weitere Kostenlose Bücher