Deine Seele in mir /
Wagens anwerfe und mein Blick auf die Digitaluhr des Armaturenbretts fällt, erschrecke ich.
21:50 Uhr.
Amy verständigt Tom und Kristin per Handy, dass wir uns nun auf dem Heimweg befinden. Warum wir so spät dran sind, lässt sie offen. Kristin hakt nicht nach, das fällt auch Amy auf. »Die beiden geben sich mit vielem zufrieden, ohne Genaueres zu erfragen«, stellt sie nach dem Telefonat fest.
»Ja. Sie versuchen uns – und besonders dir natürlich – zu vertrauen. Und deshalb haben sie es auch verdient, dass wir ihnen gegenüber offen sind«, erwidere ich und greife über den Schaltknüppel hinweg nach ihrer Hand.
Amy versteht. Sie streichelt meine kühlen Finger. »Wir werden es ihnen sagen. Die Sache mit uns, meine ich. Aber nicht sofort. Wir müssen das ja nicht überstürzen.«
Ich nicke. Mir ist es gleichgültig, wer von der »Sache« mit uns weiß, solange wir uns nur einig sind.
Langsam fahre ich über die schneebedeckte Zufahrt. Das blaue Haus ragt, seiner Einsamkeit zum Trotz, aus dem Weiß empor. Immer wieder erfasst mich der Frieden dieses Bildes. Wirklich, ein Postkartenmotiv.
Als ich meinen Ford in der Einfahrt abgestellt habe, sitzen wir noch eine Weile nebeneinander und genießen den Moment.
Ich halte Amys Hand, sie legt ihren Kopf an meine Schulter. Als die Windschutzscheibe langsam beschlägt, durchbricht ihr Kichern die Stille. Noch einmal streckt sie sich mir entgegen und haucht mir einen Kuss auf die Lippen. Ihre Hände vergraben sich in meinen ohnehin schon verwuselten Haaren, jedoch nur kurz.
»Also los«, flüstert sie, nur Millimeter von meinem Mund entfernt.
»Wo bleibt ihr denn?«, ruft Kristin uns zu. Mit verschränkten Armen steht sie im Türrahmen. »Wir warten schon seit Stunden mit dem Abendessen.«
»Ihr hättet nicht warten sollen, wir ...«
»Wir waren noch bei mir und haben ein paar Sachen geholt.« Ich deute auf meinen Rucksack.
Kristin winkt uns heran. »Rein in die warme Stube. Tom und mir knurrt schon der Magen, und ihr müsst doch auch halb verhungert sein, nicht wahr?«
Kurz darauf sitzen wir an dem großen Esstisch.
Kristin schenkt uns Tee ein, während Tom den Korb mit dem Brot herumreicht. Alles ist wie immer, bis auf eine kleine Ausnahme.
Amy und ich, wir fühlen uns wie frisch verliebte Teenager. Unsere Herzen schlagen heftig und wir schaffen es kaum, nicht zu kichern. Unter dem Tisch suchen und finden sich unsere Hände. Nur sehr zögerlich bringen wir es fertig, sie wieder voneinander zu trennen, um sie zum Tischgebet zu falten. Kristin und Tom schließen die Augen in Andacht, doch ich blinzele zu Amy herüber, die im selben Moment exakt dasselbe tut.
Als sich unsere Blicke treffen, müssen wir uns verdammt zusammenreißen, um nicht loszuprusten. Amy wird rot.
»Also, wir haben eine Entscheidung getroffen«, sagt Tom nur wenig später.
Aus den Augenwinkeln sehe ich, dass Amy aufhört zu kauen. »Hm?«, brummt sie.
»Wir haben uns entschieden, euch doch fahren zu lassen.«
Ein schriller Schrei ertönt. Schon ist Amy aufgesprungen und umarmt zuerst den lachenden Tom und direkt danach auch Kristin.
»Allerdings …«, fährt Tom fort, die Hände weit von sich gestreckt, »… möchte ich, dass ihr bis Ende Februar wartet. Kristin hat am 21. Februar Geburtstag und ich finde, nach all den Jahren hat sie sich den ersten Geburtstag mit ihrer Tochter redlich verdient.«
Kristin, die von dieser Überlegung ihres Mannes anscheinend noch nichts wusste, blickt nun zu ihm auf und schüttelt den Kopf. »Tom, nein, lass sie ruhig fahren. Das muss doch nicht …«
Weiter kommt sie nicht.
»Doch!«, ruft Amy. Sofort sind alle Augenpaare auf sie gerichtet. »Tom hat vollkommen recht, Kristin. Ich würde im Leben nicht darauf verzichten wollen, mit dir zu feiern. Wir fahren Ende Februar, das ist wunderbar. Danke!«
Nun strahlt Kristin über das ganze Gesicht, ebenso wie Amy.
Die Anspannungen des vergangenen Abends sind bewältigt. Vergessen.
Es ist wie eine Lektion, die es gegolten hatte zu lernen, und die Amy und ihre neuen Eltern nun mit Bravour bestanden haben. In diesem Moment wird mir bewusst, dass es genau das wohl auch weiterhin noch zu lernen gilt – all die kleinen und großen Lektionen des Zusammenlebens.
Die Liebe wird, auch bei Amy, von alleine kommen. Sie hat sich schon auf den Weg gemacht, das ist deutlich zu spüren. Die Art und Weise, wie sie Tom ansieht, als sie ihm die Butter reicht und wie ihre Augen strahlen, als sie Kristin von
Weitere Kostenlose Bücher