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Deine Seele in mir /

Deine Seele in mir /

Titel: Deine Seele in mir / Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanna Ernst
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Gefühle aus sich herauszulassen, sie auszuleben und endlich damit abzuschließen.«
    Ich zögere einen Moment. Mary mustert mich eindringlich – als wolle sie sich der Uneigennützigkeit meiner Beweggründe vergewissern. Sie wirkt verhalten.
    Doch als ich mich noch ein Stück weiter zu ihr vorbeuge, kommt sie mir entgegen. »Du kennst Matt seit zwei Jahren, Mary. Er wirkt immer ein wenig traurig, selbst wenn er lacht oder scherzt. Aber ... hast du jemals erlebt, dass er seine Traurigkeit zulässt? Dass er nicht versucht, sie zu verbergen? Er weint nicht, Mary. Nie! Es ist so, als hätte er gar keine Tränen – er lässt sie einfach nicht zu. Und, so verrückt das auch klingt: Mein Ziel ist es, ihn aus der Fassung zu bringen.«
    Mary sieht mich an, als hätte ich endgültig den Verstand verloren. Ich zögere nur kurz. »Diese Gabe, die er hat, kommt meiner Meinung nach nicht von ungefähr. Ich kann natürlich nicht erklären, woher Matt diese tiefen Einblicke nimmt, aber ich weiß, dass er seine Fähigkeit dazu erst nach diesem schrecklichen Erlebnis entwickelt hat.«
    Marys Kopf neigt sich zur Seite. »Wie?«
    »
Bei seiner Mom«, erkläre ich. »Sie hatte seit diesem Tag furchtbare Alpträume und litt oft unter Migräne. Matty war immer schon sehr sensibel. Er fühlte bereits als kleiner Junge genau, wie es den Menschen um uns herum ging. Als seine Mutter ihm eines Abends eine gute Nacht wünschte, streichelte Matty ihr Gesicht. Er strich über ihre Schläfen und spürte ihren Schmerz. Das war das erste Mal. Ohne es ihr jemals gesagt zu haben, heilte er sie. Nicht sofort an diesem Abend, aber nach und nach.« Mary starrt mich gebannt an. Ich versuche, meiner Stimme ein angemessenes Gewicht zu verleihen.
    »
Verstehst du, Mary? Er hat sich selbst so sehr aus den Augen verloren, ist so selbstlos geworden – so einfühlsam –, dass sich diese Gabe daraus entwickelt hat. Wie auch immer das geschah, was für einen Preis er dafür gezahlt hat, ist Matt wohl nie bewusst geworden. Er hat sich selbst dafür aufgegeben. Matt öffnet alle Seelen, seine jedoch bleibt verschlossen. Dabei können auch seine Wunden nur heilen, wenn er sich öffnet. Ich muss ihn dazu bringen, einmal loszulassen. Das könnte einer Erlösung gleichkommen, denkst du nicht auch?«
    Lange sieht Mary mich an. Ich spüre, wie sehr es ihr widerstrebt, mir recht zu geben. Der Weg, der vor uns liegt, wird kein leichter werden, und ich sehne mich nach ihrer Bestätigung, dass ich keinen Fehler begehe.
    Endlich, nach etlichen Sekunden, atmet Mary tief durch und ... nickt.
    Es geschieht bei Kristins Geburtstagsfeier.
    Wir legen die Karten offen auf den Tisch und zeigen unsere Liebe.
    Nun, eigentlich nicht
wir,
sondern Amy.
    Wir sitzen in einem gemütlichen Restaurant, und Amy – wie immer spontan und überschwenglich in ihren Gefühlen – dreht sich zu mir um, lächelt, als sie ein Maiskorn aus meinem Mundwinkel entfernt, und dann – völlig gedankenlos – küsst sie mich.
    Als wäre es das Selbstverständlichste der Welt, küsst sie mich mitten auf die Lippen.
    Es ist nur ein kurzer Kuss, doch Kristin fällt sofort die Gabel aus der Hand. Klirrend landet sie in ihrem Teller. Tom verschluckt sich an dem Stück Fleisch, das er sich gerade in den Mund geschoben hatte.
    Mir selbst bleibt das Salatblatt im Hals stecken. Da ich mein Glas bereits geleert habe, muss ich einen Schluck von Amys Wasser trinken, um den drohenden Hustenanfall abzuwenden.
    Fragend sehe ich Amy an, sie gibt meinen Blick zurück. Vermutlich hat sie sich selbst überrascht.
    »So, so.« Kristin grinst. Sie ist die Erste, die ihre Sprache wiederfindet. »Beste Freunde, hm? Ich für meinen Teil hatte mich schon gewundert, was wohl aus der armen Mary geworden ist.«
    Amy errötet. Ich senke den Blick und greife nach ihrer Hand.
    Toms Räuspern lässt uns wieder aufschauen. »Wie lange seid ihr denn schon ...?«
    »Noch nicht so lange«, antworte ich hastig. Etwas zu hastig vielleicht. Wahrscheinlich wirke ich gerade wie ein ertappter Teenager, der im Nachhinein noch versucht, die Aufrichtigkeit seiner Absichten zu versichern.
    Amy lacht. »Noch keinen Monat. Wir brauchten erst einmal Zeit, um für uns selbst mit all den Veränderungen zurechtzukommen. Ihr seid uns nicht böse, oder?«
    »Böse?« Kristin blickt einen Moment lang zwischen Amy und mir hin und her und amüsiert sich offenbar über unsere betretenen Gesichter. Schließlich wischt sie mit der Serviette über ihre Mundwinkel

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