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Deine Spuren im Sand

Deine Spuren im Sand

Titel: Deine Spuren im Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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nach Westerland zurückfahren wollen, raus aus Keitum, weg von den Erinnerungen! Oder sollte ich es wagen, zur Wattrose zu fahren? Ich fühlte, dass ich den Kopf schüttelte. Nein, ich durfte kein Risiko eingehen!
    Wieder fuhr ich sehr langsam auf den neuen Kreisverkehr zu, aber diesmal war niemand hinter mir, der mich drängte und den ich mit meiner Trödelei verärgerte. Und dann … dann bog ich tatsächlich nicht in Richtung Westerland aus dem Kreisverkehr heraus, sondern in den Gurtstig ein. War ich verrückt geworden? Wie konnte ich das wagen?
    Vorsichtshalber fuhr ich den Gurtstig ganz durch, bis dorthin, wo sich der Kreis um Keitum herum schloss und der Gurtstig in die Süderstraße mündete. Dann wusste ich, dass die Erinnerung mich früher oder später hierhin geführt hätte. Unvorstellbar, nach Sylt zurückzukehren, ohne der Wattrose einen Besuch abzustatten. Da konnte ich mir noch so oft sagen, dass ich nicht als Gast auf die Insel gekommen war, sondern als Zufluchtsuchende. Es war zu spät, um in Sylt nur meine Fluchtburg zu sehen. Ich hatte mich den Erinnerungen an meine Eltern gestellt, hatte ihr Grab gesucht und etwas gefunden, was ich nicht erwartet hatte. Warum nicht auch Maik suchen und sehen, was ich finden würde? Meine Vergangenheit war keine Kette aus aneinandergefügten Gliedern, sie war ein großes rundes Ding, das sich in zwanzig Jahren aufgeblasen hatte. Es ließ sich nichts mehr vom anderen trennen, bei dem Versuch würde meine ganze Erinnerung platzen und zunichtegemacht sein.
    Die Wattrose hatte sich nicht verändert. Das rechteckige, weiß getünchte Gebäude mit dem Reetdach, das die Fenster beschattete, hatte lediglich eine neue Haustür erhalten, über der ein ebenso neues Schild prangte: Wattrose – Inhaber Maik Wanner . Hier hatte ich den Rest meines Lebens verbringen wollen! Als Frau Wanner, die die beste Fischsuppe der Insel kochte! Frau Wanner, die alle Stammgäste beim Namen nannte. Frau Wanner, die Seele des Geschäfts! Hätte ich das wirklich gewollt? Wäre ich hier glücklich geworden? Es gab eine Zeit, da war ich mir sicher. Und während der paar Schritte, die ich auf die Tür der Wattrose zumachte, war alles besser, als eine populäre Sängerin zu sein, die auf der Flucht war.
    Neben der Eingangstür gab es immer noch das schmale Fenster, durch das man in den Schankraum sehen und erkennen konnte, wer hinter dem Zapfhahn stand. Zumindest dann, wenn man den linken Fuß auf die Kante des Kellerschachts stellte, das rechte Bein so weit abspreizte, dass sich die Hose nicht in den Dornen des Bodendeckers verfing, und sich am Fenstergitter festklammerte, damit man nicht unversehens im Kellerschacht landete. So war es damals gewesen, wenn ich wissen wollte, ob Maik selbst oder sein Vater hinter der Theke stand, und es war auch heute noch so. Dass es mir nicht mehr so leichtfiel, mich auf dem linken Bein zu halten, und dass es schwerer geworden war, das rechte Bein weit abzuspreizen, darüber wollte ich nicht nachdenken. Vielleicht hätte ich es tun sollen. Dann wäre mir der Schreck erspart geblieben, und ich wäre vor den peinlichen Folgen bewahrt worden.
    So aber starrte ich durch das Fenster auf den Mann, der am Zapfhahn stand, und vergaß alles andere um mich herum. Er stellte soeben zwei gut gefüllte Biergläser auf ein Tablett und gab einer Person, die ich nicht sehen konnte, einen Wink. Maik Wanner! Zwanzig Jahre älter, aber doch immer noch der Maik, in den ich so verliebt gewesen war, dass ich ohne ihn nicht leben wollte. Seine Haare waren kürzer, der Kinnbart, mit dem er sich damals interessanter und älter machen wollte, war verschwunden, und er schien nicht mehr ganz so schlank zu sein. Aber sein Lächeln war unverändert und die Geste, mit der er sich durch die Haare fuhr, ebenfalls. Wenn ich mich genauso wenig verändert hatte wie er, würde er mich sofort erkennen. Trotz Perücke!
    »Was machen Sie da?«
    Die Stimme war jung und frisch und klang überaus erstaunt. Ich fuhr erschrocken herum. Oder vielmehr … ich wollte es. Aber während ich mich umzudrehen versuchte, rutschte mein linker Fuß von der Kante des Kellerschachts, mein rechter gleich hinterher. Ich klammerte mich am Fenstergitter fest und ließ mich dann, nach einigen Zappeleien, die zu nichts führten, in den Kellerschacht plumpsen. So stand ich wenigstens aufrecht, als ich mich endlich umdrehen konnte, um zu sehen, wer mir den verhängnisvollen Schreck eingejagt hatte. Doch da meine Stirn sich

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