Deine Spuren im Sand
unscheinbar, schon seit längerem renovierungsbedürftig und passte nicht zu seinen Nachbarn, die weiß gestrichen und sorgsam gepflegt waren. Das Alter seiner Besitzer war leicht an den künstlichen Alpenveilchen zu erkennen, die in Reih und Glied auf dem Fensterbrett standen, an den Häkelgardinen und der hölzernen Eingangstür, die von einem emaillierten Türknauf in den Farben Erbsengrün, Pfefferminzteegelb und Linoleumbraun geschmückt wurde.
Berno, der um die Wirkung seines Charmes auf ältere Damen wusste, schritt frohgemut auf diese Tür zu. Wenn das Zimmer zu haben war, würde er es bekommen!
Er bekam es tatsächlich! Und zwar, ganz ohne seinen Charme einzusetzen. Frau Tornsen war heilfroh, dass sich endlich jemand ernsthaft für das Zimmer interessierte, das sie zu vermieten hatte, sie hätte auch Ekel-Alfred in ihr Haus einziehen lassen. »Heutzutage wollen ja alle ein Zimmer mit eigenem Bad! Und am besten mit Meer- oder Wattblick!«
Nichts davon hatte das Zimmer zu bieten, in das Berno geführt wurde. Das Mobiliar war monströs, dunkel und unpraktisch. Wie das Bad der Tornsens aussah, das er während seines Aufenthalts mitbenutzen durfte, mochte er sich nicht ausmalen. Trotzdem sagte Berno, ohne lange zu überlegen und sogar ohne nach dem Preis zu fragen: »Ich nehme es.«
Frau Tornsen dankte ihm diese schnelle Entscheidung, indem sie das Gespräch bereitwillig auf die Nachbarschaft lenken ließ und nichts dabei fand, dass Berno an den Lebensumständen des alten Herrn Traum Interesse zeigte. »Ein Zugereister! Kein Sylter! Aber trotzdem ein netter Mensch. Und ein guter Arzt! Wie der meine Magenschleimhautentzündung in den Griff bekommen hat …«
Bevor sie sich über weitere gesundheitliche Beschwerden auslassen konnte, von denen Dr. Traum sie geheilt hatte, lenkte Berno das Gespräch auf dessen Familienverhältnisse. Obwohl ihn ihre Erfahrungen mit der Magenschleimhautentzündung durchaus interessierten. Die Magenbeschwerden, die er hatte, seit Emily nicht mehr bei ihm war, rührten vielleicht auch von einer entzündeten Schleimhaut her?
»Seine Ehe war nicht glücklich«, berichtete Frau Tornsen, »aber ich glaube, daran war seine Frau nicht ganz unschuldig. Es hieß zwar, er hätte eine andere gehabt, aber gesehen habe ich ihn nie mit einer anderen Frau. Und bei manchen Ehefrauen darf man sich ja auch nicht wundern, wenn der Mann sich nach anderen umsieht! Stimmt’s?«
Berno gab ihr in allen Punkten recht und nickte sogar ernsthaft, als Frau Tornsen den Worten »Man soll ja niemandem den Tod wünschen« die Aussage hinterherschickte, sie habe Dr. Traum dennoch gewünscht, dass seine Frau ihrem langen Leiden etwas zügiger erlegen wäre. »Seit er Witwer ist, geht’s ihm viel besser. Und wenn Alex zu Besuch kommt, ist er rundum glücklich.« Sie senkte ihre Stimme zu einem vertraulichen Flüstern. »Alex ist Journalist, müssen Sie wissen. Er schreibt für die Close Up . Was der für Leute kennt! Der hat schon alle möglichen Berühmtheiten interviewt.« Frau Tornsen erwärmte sich an dem Thema und kam prompt auf das zu sprechen, was die Nation zurzeit bewegte. Sie war nämlich nicht nur eine eifrige Leserin der Close Up , sondern sah sich ebenso begeistert jede Talkshow im Fernsehen an. »Die Emily ist eine von uns! Eine Sylterin! Couragiert war sie ja schon immer, das sagen alle.«
»Sie haben Emily Funke gekannt?«
»Natürlich!« Frau Tornsen warf sich in die Brust, was in ihrem Falle eine beträchtliche Wirkung hatte. »Jedenfalls ein bisschen! Ich weiß noch, dass ich in einem Schuhgeschäft mal neben ihr ein Paar Schuhe anprobiert habe. Ich brauchte neue Halbschuhe, und sie kaufte sich ein Paar Lederstiefel. Später, als sie berühmt wurde, habe ich mich sofort daran erinnert. Es war richtig, dass sie gestern die Wahrheit gesagt hat. Wie kann man einen echten Prinzen mit einem Fiesling wie diesem Kipp betrügen? Es geschieht der Prinzessin ganz recht, wenn sie nun nicht mehr bei der Queen eingeladen wird.«
Auf Bernos Frage, ob sie Emily hier auf Sylt vermute, schüttelte Frau Tornsen bekümmert den Kopf. »Sie hat hier ja niemanden. Nach der Beerdigung ihres Vaters ist sie nie wieder auf Sylt gewesen. Nicht einmal, als ihre Mutter starb. Aber verdenken kann man es ihr nicht. Es wurde ja so viel geredet.« Noch einmal warf sie sich in die Brust, dass die Knöpfe ihrer Bluse Mühe hatten, in den Löchern zu bleiben. »Ich habe ja nie was auf die Gerüchte gegeben …«
Der
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