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Deine Spuren im Sand

Deine Spuren im Sand

Titel: Deine Spuren im Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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Ruhestätte nicht begleitet. Nur wenige Wochen nach meinem Vater war sie gestorben, aber ich wusste, dass ich alles, was während der Beerdigung meines Vaters geschehen war, nicht noch einmal ertragen würde. Damals war ich gefragt worden, warum ich nicht zur Beisetzung meiner Mutter fahren wollte, und ich hatte geantwortet: »Niemals wieder werde ich diese Insel betreten!«
    Wie ein Schwur musste es jedem vorgekommen sein, der es gehört hatte. Und wer mich kannte, wusste, dass ich stets meinte, was ich sagte. Deswegen war ich so sicher gewesen, dass mich hier niemand suchen würde. Aber irgendwie musste Alex Traum dennoch dahinter gekommen sein, dass ich mich ausgerechnet nach Sylt geflüchtet hatte. Wie war er auf die Idee gekommen? Und wenn er mich auf Sylt vermutete, dann würden auch andere mich womöglich hier suchen. Einige von denen, die damals dabei gewesen waren, als ich meinen Vater zu Grabe trug?
    Schrecklich war es gewesen. Nicht nur für mich, sondern auch für diejenigen, die ehrlich um meinen Vater trauerten. Allerdings waren das nicht viele, die meisten waren aus Sensationsgier gekommen. Nicht jedoch Maik, der meinen Vater sehr gern gehabt hatte! Er war im Blitzlichtgewitter erstarrt, hatte seine Trauer hinter einer Wand aus Abneigung versteckt und mir keinen Blick gegönnt. Wie sehr hatte ich mir gewünscht, er würde meinen Arm nehmen, als ich an das offene Grab trat und die weiße Rose auf den Sarg fallen ließ. Aber das Fremde hatte ihn zurückgehalten, all das Ungehörige, Taktlose hatte ihn abgestoßen, er war unfähig gewesen, sich mir zuzuwenden, während die Kameras auf mich gerichtet waren. Kein privates Wort hatten wir wechseln können, ich wusste, als ich zurückkehrte, nicht, wie sein Leben verlaufen war, ob er verheiratet war, ob er Kinder hatte. Mindestens ein gutes Dutzend Journalisten war es gewesen, das alles Private unterbunden, jeden meiner Schritte bewacht und jede meiner Regungen festgehalten hatte. Am nächsten Tag fand ich mich auf allen Titelseiten wieder mit Überschriften, die nichts von meinen wirklichen Gefühlen verrieten. Die Close up war besonders reißerisch gewesen. »Steht Emily Funkes Karriere auf dem Spiel? Hat die Trauer um ihren Vater ihrer Stimme geschadet?«
    Die Paparazzi hatten sogar meine Mutter im Altenheim belästigt, bevor die Pflegerinnen sie aus dem Hause warfen. Und als ich meine Mutter nach der Beerdigung besuchte, waren sie mir bis zur Tür ihres Zimmers gefolgt und hatten mit Gewalt daran gehindert werden müssen, mich neben dem Rollstuhl meiner Mutter zu fotografieren.
    Ich hatte nicht geahnt, wie hinfällig sie war, und nicht gewusst, dass die Demenzerkrankung so weit fortgeschritten war, dass ich nicht sicher sein konnte, ob sie mich überhaupt verstand. Aus großen, staunenden Augen hatte sie mich angesehen und immer wieder genickt, als die Pflegerinnen ihr erklärten, dass ihre Tochter zu Besuch gekommen sei. »Die Sängerin!«, wurde ihr ins Ohr geschrien, denn schwerhörig war sie auch geworden. »Auf die Sie so stolz sind!«
    Und dann, als die Pflegerinnen mich mit ihr allein gelassen und vor der Tür Posten bezogen hatten, damit wir nicht gestört wurden, hatte sie mich gebeten, die Mozartkugeln wieder mitzunehmen, die ich ihr angeblich letzten Sonntag gebracht hatte. »Die mag ich nicht.«
    Erkannte sie mich nicht? Wer hatte ihr letzten Sonntag Mozartkugeln gebracht? Oder erinnerte sie sich daran, dass ich ihr früher zum Muttertag und zum Geburtstag stets Mozartkugeln geschenkt hatte, weil sie die so gerne aß?
    »Ja, Muttertag«, bestätigte sie. »Letzten Sonntag!«
    Ich merkte, dass es keinen Sinn hatte, sie daran zu erinnern, dass der letzte Muttertag bereits Monate zurücklag, und erst recht brachte ich nicht zur Sprache, dass sie vermutlich die Einzige gewesen war, die keinen Besuch bekommen hatte.
    Leise begann ich von früher zu reden, während vor der Tür eine Pflegerin sich strikt verbat, zum Schicksal von Emily Funkes Mutter befragt zu werden. Von der Zeit erzählte ich, in der wir noch eine Familie gewesen waren, als die Gerüchte noch nicht laut geworden waren, als man mich noch nicht hämisch angegrinst hatte, als mein Vater mich noch kein einziges Mal mit diesem scharfen Blick angesehen und mich noch nie weggeschoben hatte, wenn ich mich an ihn schmiegen wollte. Und dann hatte ich ihre Hände genommen und von meinem Vater gesprochen. Wusste sie, dass er an diesem Tag beerdigt worden war? Ich hatte ihr fest in die Augen

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