Deine Stimme in meinem Kopf - Roman
mir fürs Kino und bringt den unsagbar schüchternen Comedian Garry Shandling mit. Hinterher fällt mir auf, dass er seine Schuhe nicht zugeschnürt hat. Ich schaue ständig weg, an die Randbereiche der Menschen, nicht in ihre Augen. Manchmal auf ihren Mund. Mit der Traurigkeit kommt auch das Wegsehen. Wortlos bücke ich mich und binde ihm die Schnürsenkel. Kaum richte ich mich wieder auf, läuft er davon, so schnell er kann. Meine Freundin ist sauer. Ich bin verrückt, verrückter als jeder Comedian.
Das dritte Ereignis ist, dass ich durch Zufall Sam treffe, den Freund eines Freundes, der schon ewig hinter mir her ist. Ich hatte aber kein Interesse und einen festen Freund. Inzwischen habe ich keinen festen Freund mehr und gehe allein auf Partys. Ich erzähle ihm, dass ich Single bin. »Du kannst mich also küssen.«
»Nein, danke«, antwortet er. Er schaut zuerst mich an, dann auf den Boden. »Ich will nicht mehr.«
Der vierte und letzte Punkt ist, dass ich mir
Ghost Dog
anschaue, den Film von Jim Jarmusch, in dem Forest Whitaker den afroamerikanischen Auftragskiller im Dienst der Mafia spielt, der nach dem Kodex der Samurai tötet. Nur ich bin so bescheuert, Forest Whitaker eine so entscheidende Rolle bei meinem Entschluss zu sterben zu übertragen. Als er viele Jahre später seinen Oscar bekommt, sage ich zum Bildschirm: »Ich will die siebentausend Dollar wiederhaben, die ich deinetwegen ans St Vincent’s Hospital zahlen musste, du Mistkerl!«
Versuch ja nie, dich umzubringen, wenn du nicht krankenversichert bist, denn wenn du überlebst, bist du so hoch verschuldet, dass du nur noch sterben willst. Das bespreche ich lang und breit mit Dr. R. Denn nachdem ich es getan habe, kann ich mir die Therapie bei ihm nicht mehr leisten. Er reduziert sein Honorar und belässt es dabei bis zum allerletzten Jahr meiner Sitzungen.
Vor dem eigentlichen Abschiedsbrief schrieb ich noch eine »Prä-Suizid-Botschaft«, eine Art Aperitif, wenn man so will. Ich schicke meinem Dad den Fotostreifen aus einem Passbildautomaten, auf ein Blatt Papier geklebt, und schreibe daneben: »Emma liebt Daddy.«
Ich kann mich nicht mehr erinnern, dass ich sie abgeschickt habe.
Dads Antwort trifft erst ein, als ich aus dem Krankenhaus entlassen werde, und wurde abgeschickt, bevor er wusste, dass ich dort landen würde. Er hat die Bilder kopiert, dann umgedreht und sich selbst auf mein Gesicht gezeichnet – seinen Bart, seinen Glatzkopf –, mit dem Zusatz: »Und Daddy liebt Emma.«
4. Kapitel
Mit dreizehn dachte ich zum ersten Mal daran. Wir hatten ein großes Badezimmer mit einem Gemälde, so breit wie eine ganze Wand, mit Pfauen und Paradies- und Dschungelvögeln und hohem Gras, nach Art von Gauguin. In meinem Zimmer gab es ebenfalls ein großes Bild: Mein Vater hatte mir geholfen, die riesigen Lettern auf die Wand zu malen: D . A . I . S . Y . – was für »Da Inner Sound Y’all« stand, das Motto der Hiphop-Gruppe De La Soul, die erste Band, in die ich mich verliebte. Am Anfang ihres Albums
3 Feet High and Rising
hatten sie einen satirischen Sketch über eine nachgestellte Quizsendung, in welcher der unechte Moderator seinen unechten Gästen unsinnige Fragen stellt: »Wie viele Federn sind an einem Brathähnchen der Firma Perdue?« – »Wie viele Fasern hängen in einem geschroteten Weizenplätzchen aneinander?« – »Was bedeutet
Toosh et leh leh pu
?« – »Wie oft hatte das Batmobil einen Platten?« – »Gut, wir lassen die Kandidaten jetzt in Ruhe überlegen und sind gleich nach der Werbung wieder für Sie da!«
Wegen des wunderschönen Wandgemäldes hielt sich meine Familie öfter im Bad auf als im Wohnzimmer. Viele Gespräche fanden im Bad statt, während Dad in der Wanne lag, der Schaum und ein origineller Zeitungshalter seine Männlichkeit verbargen und er den
Independent
las. Mum stand vor dem Spiegel und benutzte etwas, das wie ein erhitzbares Lichtschwert aussah, um aus ihren Kräusellöckchen dicke, prachtvolle Locken zu zaubern. Lisa kam oft angeschlichen und sagte: »Das ist nicht
fair
! Es ist nicht
fair
!«, denn obwohl sie erst neun war, fungierte sie hauptsächlich als Hüterin der Gerechtigkeit. Ich weiß noch, wie ich – obwohl ich dafür eigentlich schon viel zu groß war – im Bad ein Stück Seife aufaß, das die Form von Fozzie-Bär aus der
Muppet Show
hatte, den ich so sehr liebte, dass ich ihn auffressen wollte, obwohl mir davon kotzübel wurde. Damals kannte ich die Redewendung »seinen Schatten
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