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Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Titel: Deine Stimme in meinem Kopf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deuticke
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sich meine Mutter in der Elternsprechstunde beschwert hatte. Einladungen dürften nicht in der Klasse ausgeteilt werden, sagte sie, wenn nicht
alle
Kinder eingeladen waren. So kam ich zu einem Kindergeburtstag, bei dem mich keiner haben wollte und bei dem ich mich alles andere als wohlfühlte.
    Komisch war, dass die Mütter offen zeigten, dass sie mich nicht mochten. Als Erwachsene spürten sie, dass ich einen Knacks hatte, dass ich nie wie die anderen sein würde. Mädchen lauerten mir auf der Toilette auf und sagten: »Meine Mutter sagt, deine Familie sei
gewöhnlich

    Lucy, die mit dem Zettel, sagte: »Schämst du dich nicht, dass ihr Jesus getötet habt?«, und ich antwortete: »Nein, kein bisschen«, und da nannte sie mich »Nigger«. Lucy war Griechin. Erst als ich siebenundzwanzig war und mit der 6 zu Dr. R fuhr, fiel mir auf: Hey, Moment mal. Wenn Nubien da unten ist und Schweden da oben, sind wir Juden und die Griechen ethnisch gesehen doch fast identisch!
    »Dr. R? Meinen Sie nicht, dass Juden und Griechen ethnisch gesehen fast identisch sind?«
    »Durchaus. Auch was ihren Beitrag zum Wohle der Menschheit angeht.«
    Ich nehme ein Blatt Papier und zeichne sorgfältig die ethnischen Verwandtschaftslinien auf.
    »Ist das wichtig?«, fragt er.
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Weil es nicht fair war.«
    Er zieht die Augenbrauen hoch. Und macht sich eine Notiz.
    »Haben Sie je die Erfahrung gemacht, dass das Leben fair ist?«
    »Nein.«
    »Wäre ein komischer Zeitpunkt, wenn es plötzlich so wäre.«
    »Stimmt.«
    »Vermutlich ist es besser, sich einfach nur auf die schönen Dinge zu konzentrieren.«
    Ich betrachte das Diagramm, das ich gezeichnet habe. »Die Juden gewinnen.«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Ist doch klar!« Ich reiche ihm mein Blatt. »Wir haben die Psychiatrie erfunden.«
    Ich lächle.
    »Und anschließend schrieben wir Songs darüber.«
    Ich beginne zu singen: »Officer Krupke, Sie sind ein Idiot / Das Kind braucht keinen Richter, ein Psychiater tut not ...«
    Dr. R strahlt und singt weiter, mehr schlecht als recht: »Ham Sie von Neurosen noch nie was gehört? In seinem Kopf ist er gestört!«
    Wir hatten viel Spaß während unserer Sitzungen. So fröhlich wie bei unseren Sitzungen war ich eigentlich die ganze Woche nie. Nicht manisch, wie wenn ich
Pata Pata
von Miriam Makeba vierzehn Mal hintereinander höre. Einfach nur glücklich. Andere Patienten haben ihn als elegant gekleideten Mann in Erinnerung, meiner Meinung nach war Dr. R jedoch immer nachlässig gekleidet, wie mein Dad, der in Badeorten gern mit Shorts und schwarzen Luxusschuhen rumläuft.
    »Wussten Sie, dass alle jüdischen Männer latent schwul sind?«, frage ich Dr. R, als wir uns noch nicht lange kennen.
    »Ja«, antwortet er sehr ernst und dreht sich auf seinem Stuhl hin und her.
    Ermutigt fahre ich fort: »Auch dass sie alle Musicals lieben?«
    »Ich auch! Ich liebe Musicals!«
    »Mein Dad auch ...«
    »Welches ist sein Lieblingsmusical?«
    »Ähm,
The Music Man

    »Oh, ich liebe
The Music Man

    Von Anfang an empfinde ich Dr. R als ein Mitglied meiner Familie, aber im positiven Sinne. Wie ein Familienmitglied, dem man keinen Dankesbrief schreiben muss, weil es einem nie etwas Kratziges schenken würde.
    Eines Nachmittags komme ich ziemlich aufgeregt in sein Sprechzimmer.
    »Kennen Sie die Band Coldplay?«
    Er schüttelt den Kopf.
    »Doch, Sie kennen sie!«
    »Okay, meinetwegen«, sagt er achselzuckend. »Sind Sie mit einem von denen liiert?«
    »Himmel, NEIN ! Mann, Dr. R! Wie kommen Sie
darauf

    »Erfahrungswerte.«
    »Okay, na schön. Coldplay. Das ist eine Band, und sie ist echt berühmt, und der Sänger heißt Chris Martin, und ich sehe ihn dauernd in meiner Nachbarschaft beim Einkaufen und mit einem total lächerlichen Hut.«
    »Na und?«
    »Sein Hut sieht wie eine Art Narrenkappe aus. Warum trägt Chris Martin so ein Ding? Was hat das zu bedeuten?«
    Dr. R streckt beide Hände aus, wie ein Borscht-Belt-Comedian, der sein Publikum beruhigen will. »Ich glaube nicht, dass es etwas zu bedeuten hat, Emma.«
    »Doch, es muss etwas bedeuten!«
    Er versucht, mich zu beruhigen.
    »Ich mache mir größere Sorgen wegen dem Ritzen.«
    »Echt?« Ich sage es mit einem Unterton wie: »Wie können Sie nur?!«
    Er schaut mit hochgezogenen Augenbrauen auf seinen Notizblock. Ich ertappe ihn hin und wieder dabei, dass er für den Bruchteil einer Sekunde innerlich seufzt und sich denkt: »Herrje, was für ein schräger Vogel!« Aber

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