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Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Titel: Deine Stimme in meinem Kopf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deuticke
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komischerweise tut das meinem Vertrauen zu ihm keinen Abbruch.
    Die Leute fragen zwar immer, wie es einem geht, aber er ist der Einzige, zu dem ich ehrlich sagen kann: »Hey Kumpel, mir geht’s so was von nicht okay!«
    Er sagt auch nie: »Ich bin nicht Ihr Kumpel.«

10. Kapitel
    Gloria Steinem treffe ich, nachdem meine Freundin, die Dichterin und Aktivistin Sarah Jones, ihr erzählt hat, dass ich einen Roman schreibe, ein Opus über Selbstverstümmelung. Gloria Steinem, die ich seit langem aus der Ferne bewundere, ist ganz Ohr, als ich das Buch beschreibe, und fragt dann, ob ich sexuell missbraucht worden sei. Habe ich schon erwähnt, dass wir auf einer Rolltreppe stehen? Nach einer Filmvorführung von
Der Manchurian Kandidat
? Dem Remake mit Meryl Streep. Und dass ich einen halbleeren Eimer Popcorn in der Hand habe? Überrascht drehe ich den Kopf und schaue zu Steinem hinauf.
    »Nein, ich wurde nicht sexuell missbraucht.«
    »Sind Sie sicher?«, hakt sie nach.
    Ich sage ihr, dass ich mir ganz sicher bin, und biete ihr von meinem Popcorn an.
    Die Tiffany-Lampe in der East 94th Street kommt mir an diesem Tag besonders hell vor.
    »Dr. R, Gloria Steinem meint, dass die meisten Ritzer als Kind sexuell missbraucht wurden.«
    »Etliche, ja«, bestätigt er und dimmt die Lampe, da er inzwischen weiß, welches Blinzeln von mir welche Art von Unbehagen ausdrückt.
    »Okay, dann wurden die meisten Ritzer also sexuell missbraucht. Ich nicht!«
    »Okay.«
    »Jedenfalls hörte ich mich echt super-defensiv und ausweichend an, und das einer meiner großen Heldinnen gegenüber. Auf einer Rolltreppe!«
    Diesmal haben wir eine Doppelsitzung, was nur selten vorkommt. Und es ist lustig, dass es so lange dauert, denn Dr. R ist ungewöhnlich schweigsam. Ich höre mich reden und reden und denke mir: Halt endlich die Klappe und lass ihn auch mal zu Wort kommen. Doch ich quassle weiter.
    »Ich wurde als Kind nicht sexuell missbraucht. Ich glaube, wie fast jede Frau, die ich kenne, hatte ich als Kind primär Angst vor Sex.«
    Er nickt. »Nichts Konkretes?«
    Natürlich, natürlich etwas Konkretes. Etwas mit einer bestimmten Landschaft und sogar einem bestimmten Geruch. Ich lege den Kopf auf die Knie, richte mich dann wieder auf.
    »Ich habe für die
Sunday Times
gearbeitet, im Musikressort. Ich war sechzehn und hatte noch nie Sex gehabt. Da traf ich diese Frau bei einer Breeders-Show, über die ich schreiben sollte.« Ich blicke auf. »Eine supertolle Band.« Ich sage das, als wäre es wichtig für das, was gleich kommen würde. »Die Frau war aus San Francisco, und wir haben uns während der ganzen Show unterhalten und auch danach noch, bis spät in die Nacht – sie war vierzig und wunderschön und allein da – und irgendwann sagte sie, ich solle sie doch mal in Kalifornien besuchen.«
    Sie war klein und zierlich, mit einer sehr hellen Haut und einem platinblonden Bob – wie wenn Louise Brooks’ Frisur beim Waschen ruiniert worden wäre.
    »Ich fand sie irgendwie mysteriös, ihr Aussehen, wie sie sprach, dass sie überhaupt da war, inmitten der vielen abtanzenden Teenager. Sie erinnerte mich an eine der Göttinnen auf meinen Orakelkarten. Moment, Irrtum! Sie hat mir meine ersten Orakelkarten ja erst geschenkt. Ich wusste also erst hinterher, woran sie mich erinnert hatte. Aber egal. Wissen Sie, ich war immer gern mit älteren Frauen zusammen ...«
    »Ich weiß.«
    »Und sie war in einer verdammten Band!«
    Keiner erfolgreichen Band, sie hatten keinen Plattenvertrag und nichts, und mit vierzig war da nicht mehr viel zu hoffen. Aber in San Francisco traten sie regelmäßig auf und hatten ihre Fans.
    »Also flog ich für eine Woche zu ihr, total verknallt, ehrlich gesagt. Ich war noch nie mit einer Frau zusammen gewesen, hatte aber total Lust auf sie. Sie hat mir übrigens in keiner Weise zu verstehen geben, dass sie lesbische Neigungen hätte. Ich war trotzdem total auf sie fixiert, auf dieselbe Weise wie ich nach einem Kleid oder einem Buch oder einem Lippenstift verrückt sein kann.«
    Sein Kugelschreiber macht einen Strich hier, einen Strich da, dann blickt er eine halbe Sekunde lang auf und lächelt nur, als ich sage:
    »Sie hatte nicht erwähnt, dass sie einen Ehemann hat.
    Sie holte mich am Flughafen ab und ging mit mir zum Mittagessen in ein Restaurant am Pier. Dort winkte sie einem unheimlich attraktiven jungen Mann zu, der direkt auf uns zukam. Er blieb aber nicht stehen, sondern ging einfach weiter, bis ans Wasser und sprang

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