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Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Titel: Deine Stimme in meinem Kopf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deuticke
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verkrochen habe, finde ich einen High Heel, den ich seit einem Jahr vermisse. Junior hat seine Klappermaus darin versteckt. Beim Klappern wacht Junior erfreut auf, nimmt die Maus in seine kleinen Klauen und marschiert damit ins Bad. Ich stehe auf und folge ihm.
    Er macht es sich auf der Badematte gemütlich. Ich lasse mir ein Bad einlaufen und lege die restlichen Pillen auf das Fensterbrett. Ich steige in die Wanne und lasse meine nassen Haare um meinen umnebelten Kopf schwimmen. Durch die Lamellen der Jalousie kann ich die Bäume sehen und dahinter den Vollmond, unseren Mond, den wir zwischen uns immer hin und her geschickt haben. »Diese Nacht ist perfekt.«
    Da höre ich eine Stimme.
    »Warten Sie«, sagt Dr. R im Körper von Junior, der seine rötlich-orange Pfote auf den Beckenrand gelegt hat und wie ein Erdmännchen darüber schielt. »Warten Sie noch.«
    Ich rede mit der Wand. Suche Trost bei einer Katze. Und spüre die bösen Vorzeichen.
    Wenn ich es tue, ist Dr. R umsonst gestorben. Ich hasse es, wenn Beyoncé einen Grammy gewinnt und sich in ihrer Dankesrede bei G-tt bedankt. Für Darfur hatte er keine Zeit, aber er hat dafür gesorgt, dass du deinen MTV -Moonman gewinnst! Ich weiß, dass Dr. R wesentlich wichtigere Dinge hinterlassen hat als mich. Ich weiß es. Ich weiß, dass ich nicht zu seinen engsten Beziehungen gehörte. Aber ich war
eine
seiner Beziehungen.
    Es war ihm nicht vergönnt, seine Kinder aufwachsen zu sehen, mit seiner Frau alt zu werden.
    Alle Mädchen, bei denen ich mich ausheulen kann, sind jünger als ich. Ali ist 27, Elishia 28, Natalie ebenfalls 27. Danielle ist 25 und gerade in einer ähnlichen Situation. Ich bringe es nicht über mich, ihr zu sagen, dass ich ihr nichts anderes sagen kann, als dass sie es überleben und vermutlich noch öfter durchmachen wird. Und dass es in drei oder in fünf Jahren unvergleichlich schwerer und in acht Jahren vermutlich unüberwindlich sein wird.
    »Pearl, Pearl, mein Perlenmädchen«, murmle ich bei jeder der roten Pillen vor mich hin. Es ist wie ein Madrigal: Pille, Perle, Träne, Pille, Perle, Träne ...
    »Wir werden sie Pearl nennen«, hatte GH gesagt, »denn ihre Schönheit wird sie durch ihre enorme Willenskraft selbst geschaffen haben.«
    Als ich die Wrackteile meiner Zukunft durchforste, wünsche ich mir, ich wäre ein bisschen mehr wie meine imaginäre Tochter.
    Natürlich sind da Fragen nach Abhängigkeitsmustern, natürlich ist er ein Freak. Natürlich hat es nichts mit mir zu tun. Aber was ändert das? Er hat mich geliebt und jetzt liebt er mich nicht mehr. Ich war alles für ihn, jetzt bin ich nichts mehr. Ich klappe meine Muschel zu.
    Meine imaginäre Pearl!
    Ich lege die Pillen zu einer Halskette aus. Lege mir eine auf die Zunge, dann noch eine, schlürfe Badewasser, während ich sterbe.
    Junior schnurrt laut, einen tibetischen Totengesang. Und dann höre ich Dr. R und schaue zu Junior hinunter. »Emma Forrest ...«
    Nein, ich habe mir dieses Leben nicht erträumt. Diese unglaublichen Hochs, die unerträglichen Tiefs. Ich will eine Cheerleaderin sein in ... in ...
    »Wo?«, fragt Dr. R mit dem Katzenkopf und seiner üblichen Logik.
    »In Minnesota.«
    »Eine kalte Gegend.«
    »Stimmt.«
    »Dann besser Cheerleaderin hier. Hier ist der Himmel immer blau.«
    »Dort auch.«
    Ich begreife nicht, warum GH nicht mehr mein Mann sein will. »Natürlich bin ich noch dein Mann«, schrieb er mir noch in der Woche, in der er mich abserviert hat. »Ich bin dein Mann. Immer.« – »Aber du bist nicht hier.« Ich sehe den geisterhaften Zug seiner früheren Freundinnen, die er vermutlich von heute auf morgen sitzenließ. Ich war nicht die Erste. Ich werde auch nicht die Letzte sein. Ich bin nur eine einzelne Perle an einer Halskette.
    Junior stupst mich an, schlägt nach meinen Zehen im Wasser.
    »Niemand hat dich je so sehr geliebt wie GH . Und niemand hat dir seine Liebe so komplett entzogen. Aber sie ist noch da. Schau dich um. Die Spinne unter dem Flann-O’Brien-Buch. Das Tor, das sich endlich schließen lässt. Das Sicherheitsschloss an der Haustür. Mit diesen kleinen, aber wichtigen Details hat er dein Haus sicherer gemacht, damit du unbesorgt darin leben kannst.«
    »Ich liebe dich so sehr«, sagte GH immer und immer wieder am Telefon, und obwohl es keinen Sinn ergibt, antwortete ich: »Ich weiß«, weil es so war.
    Junior grinst: »Niemand kann über seinen Schatten springen.«
    Ich lasse den Rest der Pillen ins Badewasser fallen. Und

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