Deine Stimme in meinem Kopf - Roman
mutig genug, es auszusprechen:
Dies
ist eine Sache, für die es sich lohnt, sich umzubringen. Wenn dem nicht so wäre, warum wäre es dann ein Leitmotiv der Weltliteratur, der großen Kinofilme und Opern zu allen Zeiten? Sind Klischees nicht genau deshalb Klischees – einfach weil sie wahr sind?
GH fand es immer interessant, wie kompliziert und schwierig ich bin, dass sich meine Haare und mein Herz nicht zähmen lassen. »Wie die verdammte Medusa«, staunte er. Inzwischen bin ich nur noch eine klassische Figur der griechischen Dichtung, deren Selbstwertgefühl platt gewalzt wurde. Nur eine von vielen, irgendein Mädchen. Diese Trennung hat mich zu einer Medusa gemacht, die sich vor ihren eigenen Schlangen fürchtet.
Während ich ungebremst auf die Talsohle zurolle, strecke ich die Hände nach GH aus, sage ihm, dass es mir nicht gut geht und dass ich schrecklich gern mit ihm reden würde. Keine Antwort. Zwei Tage lang bin ich innerlich aufgewühlt und glaube felsenfest, dass er antworten wird. Tut er nicht. Schließlich bekomme ich eine kühle E-Mail. Er schreibt, er sei »froh, dass es mir gut geht«, ohne darauf einzugehen, was ich ihm geschrieben habe. Es ist, als habe er komplett ausgeblendet, dass er mich bis vor kurzem geliebt hat oder dass ich leide. Ich bin abgeschrieben. Ich glaube nicht, dass ich klüger war als die anderen Mädchen, denen er dies angetan hat, oder so schön wie sie. Es ist nur so, dass es mich betrifft. Es war alles, was ich hatte.
Ich übermale das Pink in meinem Gästehaus, mache etwas, was sich Lasur nennt. Jetzt ist es mehr ... na ja, rot. 3-D. Kein guter Trip.
Barack nimmt seine Präsidentschaft an und stellt dabei »meine beste Freundin seit sechzehn Jahren, die Liebe meines Lebens, Michelle Obama« vor, und ich falle fast in Ohnmacht. Das ist es, jawohl, vor meinen Augen: gelebte Liebe! Auf dem Nachhauseweg versuche ich, mich geistig auf das glückliche Bild von kleinen schwarzen Mädchen zu konzentrieren, die auf dem Rasen vor dem Weißen Haus seilspringen. Stattdessen sehe ich dauernd Jesse Jackson vor mir. Er stand in der Menge und verfolgte Baracks Rede mit Tränen in den Augen und einem Finger an den Lippen, wie eine Frau. So habe ich auch den ganzen Tag geweint. Am nächsten Morgen schneide ich das Bild aus der Zeitung aus und betrachte es eingehend. Wir machen dasselbe Gesicht, ich aus Verzweiflung und Jesse vor Freude, und beide versuchen wir, nicht vor Emotionen zu zerfließen. Später an diesem Tag beschließe ich, dass er nicht wegen der historischen Tragweite dieser Präsidentschaft weint, sondern aus demselben Grund und auf dieselbe Art wie ich: weil GH ihn nur umworben hat, um ihn dann auf grausame Weise fallenzulassen, und er sich nun wie ein Arschloch vorkommt, weil er darauf hereingefallen ist. Beim Anblick von Barack und Michelle denkt er, dass das der größte Tag seines Lebens ist und auch sein schlimmster, und er weiß nicht, was er tun soll. Das ist der wahre Grund, warum Jesse Jackson bei Baracks Amtseinführung geweint hat.
GH war süchtig nach mir, und jetzt macht er kalten Entzug. Früher hat er mir fünfzig SMS pro Tag geschickt. Jetzt ignoriert er mich. Es ist, als wäre ich früher sein Barack Obama gewesen. Und ich bin jetzt John McCain, eine Stoffpuppe mit traurigem Gesicht, die ihre Niederlage eingesteht und weiß, dass sie das Beste von sich verkauft hat. Nicht nur, dass er, meine Wählerschaft, mich nicht mehr will – er ist auch noch voller Mitleid.
Der Einzige, dem ich mein Herz ausschütten kann, ist komischerweise der Schriftsteller mit den berühmten Worten und dem berühmt-berüchtigten Liebesleben, der mich während meiner Sitzungen jahrelang beschäftigt hat. Wir essen in einem angesagten Restaurant zu Abend, und ich trage ein hübsches Kleid, habe einen Good-Hair-Day, und L.A. glitzert vor unseren Augen, und wir ahnen, dass es ein besonderer Abend ist. Ich befrage ihn zu dem Jahr, in dem er in den Schlagzeilen war, weil er Crack genommen hatte, und er sagt: »Emma, bitte, Crack
nimmt
man nicht, man
raucht
es. Etwas mehr Respekt bitte.«
Wir lachen, und mitten in einem Witz fallen plötzlich Tränen auf meinen Lachs, der sowieso schon feucht genug ist.
»Ich heule nicht.«
»Emma ...« Er legt seine Hand auf meine.
»Schon gut, ich heule ja gar nicht.«
»Emma, rede mit mir!«
Dabei haben wir jahrelang nicht geredet.
Ich erzähle ihm, wieso ich denke, dass ich allen Glauben verloren habe. Und wieso ich nicht aufhören kann zu
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