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Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Titel: Deine Stimme in meinem Kopf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deuticke
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die wahre Liebe gefunden haben, obwohl es mich andernfalls gar nicht gäbe.
    »Hör mal, ich hab es noch nie jemandem erzählt. Ich bin eigentlich wegen eines ganz anderen Mannes nach England gezogen. Der wollte aber nichts von mir wissen. Und gleich in der ersten Woche habe ich deinen Vater kennengelernt.«
    Ich weiß, dass sie überlegt hat, mich abtreiben zu lassen, doch Dad meinte: »Probieren wir’s doch einfach«, und das taten sie dann. Und sie sind noch heute, über dreißig Jahre später, zusammen.
    Wir teilen uns ein Bett in einem Zimmer, das zum Hafen geht, und ich bin die halbe Nacht wach und fülle Formulare aus, die mir Dr. K als Vorspiel zu unserem Termin geschickt hat. Gegen eins fährt Mum aus dem Tiefschlaf auf und verkündet mysteriöserweise: »Ich glaube, ich sage gleich ›ooooh‹.«
    Sie macht eine dramatische Pause (eine Schauspielerin, sogar im Schlaf!) und sagt dann tatsächlich » OOOOOH «. Dann legt sie sich wieder auf den Rücken und beginnt zu schnarchen.
    »Zimmerservice?«, sagt eine Stimme vor der Tür am nächsten Morgen, und Mum antwortet trällernd, Holly Golightly in
Frühstück bei Tiffany
imitierend: »Rooom service ... wiiiiiiiider than a mile ...«
    Wir nehmen ein Taxi, sind etwas zu früh vor Dr. Ks Haus und tun so, als wollten wir in der Boutique nebenan noch etwas kaufen, obwohl wir es absolut nicht vorhaben. In seinem Wartezimmer liegt der gleiche
New Yorker
wie bei Dr. R vor einem Jahr. Hat er ihm die Zeitschriften vererbt? Dr. Ks Sprechzimmer ist größer als das von Dr. R, besser belüftet dank des großen Fensters. Seine Stühle sind etwas weniger bequem, aber die Luft ist gut.
    Dr. K ist ein schmächtiger, grauhaariger Mann, etwa im Alter von Dr. R, der mich mit einem Lächeln begrüßt und dann die Formulare durchsieht, die ich brav ausgefüllt habe. »Aha«, sagt er hinter seinem Schreibtisch. »Aha.«
    Dann blickt er auf. »Sie haben ja einiges zu bieten.«
    »Soweit ich aus diesen Fragen schließen kann, bin ich weder hypochondrisch noch mysophob oder zwangsneurotisch. Aber all die anderen Antworten, was sagen sie über mich aus?«
    »Sie deuten auf ein posttraumatisches Stresssyndrom hin.«
    »Ha, das ist gut! Die Liebe ist ein Schlachtfeld!«
    Er zieht eine Augenbraue hoch, und ohne dass er etwas sagt, beginne ich zu erzählen. Als ich endlich fertig bin, ist der Großteil der Sitzung vorbei, und seine Antwort ist direkter, als ich es von einem Psychiater zu hoffen gewagt hätte.
    »Ich würde Ihnen raten, mindestens sechs Monate lang keinen Kontakt mit ihm zu haben. Reagieren Sie nicht, falls etwas von ihm kommt. Kein Kontakt! Sechs Monate lang!«
    »Gut«, sage ich. »Okay. Aber was ist passiert?«
    »Was passiert ist? Mit ihm?«
    Er legt den Kopf in den Nacken, als balanciere er die Antwort auf meine Frage auf seiner Nasenspitze.
    »Nun, in der Psychiatrie gibt es ein Phänomen, das bei Männern – seltener bei Frauen – auftritt. Es besteht darin, dass man all seine Hoffnungen und Sehnsüchte auf eine einzige Person projiziert, so intensiv, dass dieses Gefühl irgendwann einen Kurzschluss im Gehirn auslöst, was dazu führt, dass man sich innerhalb einer Minute um 180 Grad dreht. Es überrascht mich nicht, dass es in einem Flugzeug passiert ist.«
    »Kommen sie ... ich meine, erholen sie sich irgendwann davon?«
    Sein Lächeln ist sehr liebevoll. »Das wurde bisher nie beobachtet.«
    »Okay, klingt logisch.«
    »Er ist ein sehr guter Schauspieler«, sagt er, und ich antworte instinktiv: »Danke.«
    »Großartige Schauspieler«, fährt er fort, »sind so ausgebildet, dass sie blind ihren Instinkten folgen. Großartige Menschen dagegen denken über ihre Instinkte nach und reagieren nicht spontan darauf.«
    Ich weiß nicht, warum ich es nicht ausspreche (Dr. R gegenüber hätte ich es getan), warum ich es nur im Kopf sage: Die meisten Leute wissen nicht, dass man, wenn man bereits einen Selbstmordversuch überlebt hat, zuerst eine große Traurigkeit und dann eine gewaltige Angst verspürt: Was fängt mein Verstand jetzt damit an? Ich will nicht sterben. Ich
will
nicht sterben. Aber ich habe die rote Pille genommen und jetzt weiß ich nicht, was passieren wird. Wenn du nicht mal eine gewisse Kontrolle über deine eigenen Gedanken hast, über die Myriaden von Stimmen in deinem Kopf, weißt du nicht, wohin sie dich treiben könnten.
    Ich sage nur: »Ich weiß natürlich, dass GH mir nichts schuldig ist, denn das würde implizieren, dass es auf der Welt

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