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Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Deine Stimme in meinem Kopf - Roman

Titel: Deine Stimme in meinem Kopf - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deuticke
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gerecht zugeht. Dr. Rs Tod beweist das Gegenteil.«
    Dr. K weint kurz, ganz diskret. Dann holt er einen Rezeptblock heraus.
    »Ich werde die Strattera-Dosis verdoppeln und Ihnen auch Klonopin verschreiben, die Sie nach Bedarf nehmen können.«
    Während er schreibt, fällt mir plötzlich etwas ein. »Entschuldigung, aber woher kannten Sie Dr. R?«
    »Oh.« Er schaut mich an. »Wir waren Nachbarn.«
    »Nachbarn? Wo?«
    »Im selben Flur. In der East 94th Street.«
    Ich falle aus allen Wolken.
    »Herrje, tut mir leid. Das ist mir nie aufgefallen.«
    Er schmunzelt. »Ich habe mich immer gefragt, was im Raum nebenan vor sich geht. Ich freue mich sehr, Sie kennenzulernen, denn Sie kommen von der anderen Seite.«
    Nach der Sitzung geht Mum mit mir in eine Ausstellung des Fotografen Richard Avedon. Neben den Porträts steht ein Zitat von ihm: »Wir alle spielen eine Rolle. Das tun wir die ganze Zeit voreinander, absichtlich oder unabsichtlich. Auf diese Art erzählen wir von uns, in der Hoffnung, als das erkannt zu werden, was wir gerne wären.«
    Ich bleibe vor seinem Foto von Janis stehen, als sie noch Kampfgeist hatte, die geballten Fäuste erhoben. Und vor Marilyn, in Pailletten, erschöpft. Wir stehen lange vor der Fotografie Nummer 40, Groucho Marx ungeschminkt und alt. Mum sagt, so sei er wirklich. Ich frage sie, warum. »Er strahlt so viel Tiefe, Traurigkeit und Würde aus.« Es kostet 45.000 Dollar, ich will es haben. Das Bild, aber auch die Eigenschaften.
    Wir gehen zu
City Lights
, der Buchhandlung von Lawrence Ferlinghetti, die zum Treffpunkt avantgardistischer Autoren wurde, deren Werke er zum Teil verlegte. 1956 gab er Allen Ginsbergs
Das Geheul
heraus, was ihm eine Menge Scherereien einbrachte. Ich fühle mich wie im Himmel! Ich kaufe Bücher für GH , die ich unter mein Bett legen und ihm nie geben werde, aber sie sind da für ihn, unter einer Schicht von Staub und Katzenhaaren, mit meinem Schnarchen zugedeckt. Eines Tages werden sie mich mit einem anderen Mann im Bett hören. Aber es sind seine. Ich kaufe auch ein paar für Dr. R. Die liegen jetzt in meiner Schreibtischschublade, unter meinem Computer. Im
City Lights Bookstore
bekommt man echt jedes Buch. Dort fühle ich mich immer wie eine Suchtkranke, würde am liebsten auf die Knie fallen und die Bücher alle in mich einsaugen, statt sie zu lesen.
    Mum und ich sind in der Tram auf dem Rückweg zum Hotel, als ich meinen BlackBerry einschalte. Eine Antwort von GH auf meine Nachricht, mit einer Woche Verspätung. Er schreibt, wie gut es ihm ginge. Und wie glücklich ich klänge. Ich reiche das Telefon an Mum weiter. Sie schüttelt den Kopf. »Klingt nach Pflichtbewusstsein und – ich weiß nicht – müde. Ich habe den Eindruck, er leidet an emotionalem Gedächtnisschwund.«
    »Ich bin noch auf seiner Videokarte«, platzt es aus mir heraus, wie wenn jemand keinen Mord in der Bronx begangen haben könnte, weil er ein U-Bahn-Ticket mit einer Fahrt nach Brooklyn hat.
    Mum gibt mir den BlackBerry zurück.
    »Ich denke, du musst akzeptieren, dass es den GH , den du gekannt hast, im Moment nicht gibt. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie vernarrt er in dich war. Ich habe die Fotos. Ich habe die Briefe, in denen er mir schrieb, wie sehr er dich liebt. Ich habe die Gedichte. Das hier ist nicht der GH , den ich kenne. Diese neue Person kenne ich nicht. Emma – er hat sich gehäutet.«
    Auch sie ist untröstlich. Sie muss etwas sagen, das mir mein Leben zurückgibt. Sie mobilisiert sämtliche Reserven. Ich sehe, wie schmerzlich es für sie ist, und das tut mir weh. Ich entspringe ihrer Freude und ihrem Schmerz, ich habe darin gelebt und ich lebe auch jetzt darin.
    Ungläubig starre ich auf das Straßenschild, als wir durch eine Straße fahren, die seinen Namen trägt, und einen Block weiter kommt eine Straße mit dem Kosenamen, den er mir gab. Wir kreuzen uns. Er sagte, er danke jedem Stern einzeln dafür, dass wir auf demselben Himmelskörper leben. Aber hier sind wir auf der Erde, schmutzig, abgenutzt, auf einer von Menschenhand gebauten Fahrbahn für sich überkreuzende Träume.
    Ich sage etwas über Dr. R, seinen plötzlichen Tod. Mum starrt mich entsetzt an.
    » GH ist tot? Was?!«
    »Dr. R!«
    »Entschuldige, ich war in Gedanken gerade bei GH .« Sie macht eine kurze Pause. Ihre Miene hellt sich auf. »Mir ist gerade klar geworden, dass ich GH umbringen könnte.«
    Sie steckt sich ein Mini-Snickers in den Mund.
    Ich schaue aus dem Fenster. Es ist eine

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