Delete: Thriller (German Edition)
dass man mit automatischer Gesichtserkennung wahrscheinlich in der Lage wäre, ihn aufzuspüren«, meldete sich Wissmann. »Besonders jetzt, wo er sein Versteck verlassen musste.«
»Diese Möglichkeit haben wir aber nun mal nicht«, sagte Eisenberg. »Uns bleibt nur …«
Ein Handyklingeln unterbrach ihn. Er warf einen Blick auf das Display. Eine unbekannte Nummer.
»Moment, ich muss da kurz rangehen … Eisenberg?«
Eine weibliche Stimme meldete sich.
»Herr Eisenberg? Hier ist Nina Schmidt. Ich bin die Pflegerin Ihres Vaters. Ich habe leider eine schlechte Nachricht für Sie. Als ich vorhin in die Wohnung Ihres Vaters kam, habe ich ihn leblos in seinem Rollstuhl vorgefunden. Ich habe sofort den Notarzt verständigt, aber der konnte leider nur noch den Tod feststellen … Herr Eisenberg? Sind Sie noch dran? Es tut mir wirklich leid …«
»Ja … Danke, dass Sie mich benachrichtigen. Ich komme, so schnell ich kann«, hörte er sich sagen.
Seine Mitarbeiter sahen ihn besorgt an.
»Was ist passiert?«, fragte Klausen. »Ist Körner irgendwo aufgetaucht?«
»Nein, ist was Privates«, sagte Eisenberg mit tonloser Stimme. »Ich muss weg. Wir haben ja so weit alles besprochen. Ich kann noch nicht sagen, wann ich wieder zurück bin.«
Betretenes Schweigen herrschte, als Eisenberg sich erhob und wie betäubt aus dem Raum ging.
Man sagt, dass von einem Schuss tödlich Getroffene häufig nicht begreifen, was mit ihnen geschehen ist, weil sie zunächst keinen Schmerz spüren. Eisenberg ging es in diesem Moment ähnlich. Statt Bestürzung und Trauer fühlte er gar nichts. Er ging zu seinem Wagen und lenkte ihn aus der Tiefgarage, als sei er ein ferngesteuerter Roboter. Auf der Autobahn versuchte er, seine Gedanken zu ordnen, doch das gelang ihm nicht.
Vater, tot. Natürlich war das absehbar gewesen. Trotzdem traf es ihn so unvorbereitet, als wäre plötzlich die Gravitation ausgefallen. Immer wieder ging ihm einer der letzten Sätze durch den Kopf, die sein Vater zu ihm gesagt hatte: Du solltest nie etwas versprechen, von dem du nicht sicher bist, ob du es halten kannst, mein Sohn.
Erst, als er in Jenfeld von der Autobahn fuhr, fragte er sich, warum er so schnell gefahren war. Es war doch längst zu spät. Er konnte nichts mehr tun. Die Dinge lagen außerhalb seiner Kontrolle.
Er rief Nina Schmidt an, die ihm mitteilte, sein Vater habe seine eigene Beerdigung längst organisiert. Die Leiche sei schon vom Bestattungsunternehmen abgeholt worden, das er ausgewählt hatte.
Eisenberg fuhr direkt dorthin. Ein junger Mann teilte ihm mit pietätvoller Stimme mit, die Leiche sei noch nicht »vorbereitet« und er möge bitte am nächsten Tag wiederkommen.
Eisenberg zeigte ihm seinen Polizeiausweis.
Er hatte schon eine Menge Leichen gesehen. Er wusste, dass sie etwas Nichtmenschliches an sich hatten und oft eher wie Puppen wirkten. Und er wusste erst recht, dass sie meist alles andere als schön aussahen. Trotzdem traf ihn der Anblick seines toten Vaters unvorbereitet.
Er lag nackt in einem Nebenraum des Beerdigungsinstituts auf einem Metalltisch, der den Seziertischen in der Rechtsmedizin ähnelte. Jemand hatte hastig ein Laken über die untere Körperhälfte geworfen. Die Haut war grau und schlaff, als sei sie ein paar Nummern zu groß. Es war fast unmöglich, diesen abgemagerten und viel zu kleinen Körper mit dem energischen und kraftvollen Mann in Verbindung zu bringen, der sein Vater trotz seiner Lähmung bis zuletzt gewesen war.
Der Mitarbeiter des Instituts ließ Eisenberg ein paar Minuten allein. Endlich kamen die Tränen und mit ihnen der Schmerz.
Als er sich wieder halbwegs gefasst hatte, bedankte sich Eisenberg bei dem jungen Mann. Sie besprachen noch einige Details der Beerdigung. Sein Vater hatte eine Grabstelle auf dem Ohlsdorfer Friedhof ausgewählt und auch schon bezahlt. Eisenberg vereinbarte den Beerdigungstermin am Montag. Dann fuhr er in sein Hamburger Apartment und rief seine Kinder an.
Es war bereits später Nachmittag, als er überrascht feststellte, dass es nichts mehr für ihn zu tun gab. Die Beerdigung war organisiert, die Verwandten waren informiert. Selbst die Todesanzeige der Familie hatte sein Vater schon vorab bezahlt, nur Todesdatum und Text mussten noch festgelegt werden. Er überlegte eine Weile, doch ihm fiel nichts ein, das nicht schrecklich pathetisch geklungen hätte. Er wusste, was sein Vater ihm geraten hätte: Bleib bei der Wahrheit, mein Sohn. Aber wie konnte er die Wahrheit
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