Delete: Thriller (German Edition)

einen kleinen Besprechungsraum, in dem ein rechteckiger Konferenztisch für acht Personen stand. Wissmann setzte sich. Er legte die Hände in den Schoß und starrte sie an. Eisenberg setzte sich ihm gegenüber.
    »Ich lasse Sie dann allein«, sagte Kayser. »Bitte kommen Sie gegen sechzehn Uhr in mein Büro, wenn Sie bis dahin fertig sind.«
    »Mache ich. Bis später.«
    Nachdem Kayser gegangen war, wartete Eisenberg einen Moment. Wissmann hob den Blick nicht.
    »Wie ist Ihr Name?«, fragte Eisenberg nach einer Minute.
    »Simon Wissmann. Das wissen Sie doch.«
    »Ja, das weiß ich. Aber ich wollte Ihnen den Einstieg erleichtern.«
    Wissmann sagte nichts.
    »Sehen Sie mich bitte an, Herr Wissmann.«
    Er hob den Kopf für den Bruchteil einer Sekunde. Dann senkte er den Blick wieder auf seine Hände.
    »Sie sind Autist, nicht wahr?«
    »Asperger«, antwortete Wissmann.
    »Was ist das?«
    »Der Begriff Asperger-Syndrom bezeichnet eine sogenannte Entwicklungsstörung innerhalb des Autismusspektrums«, sagte Wissmann in einer monotonen Stimme, als lese er etwas aus einem Lexikon vor. »Sie äußerst sich durch Schwächen in den Bereichen soziale Interaktion und Kommunikation. Personen mit Asperger-Syndrom haben Schwierigkeiten, nonverbale und parasprachliche Signale bei anderen Personen zu erkennen und selbst auszusenden. Sogenannten normalen Menschen erscheint ihr Kontakt- und Kommunikationsverhalten merkwürdig und ungeschickt. Jedoch unterliegen sie nicht nur Beeinträchtigungen, sondern verfügen oft auch über Stärken in den Bereichen der Wahrnehmung, Konzentrationsfähigkeit oder Gedächtnisleistung, gelegentlich sogar über Hoch- oder Inselbegabungen. Das Syndrom ist angeboren und nicht heilbar. Die Frage, ob es überhaupt als Krankheit oder als eine Normvariante der menschlichen Informationsverarbeitung eingestuft werden sollte, ist umstritten.«
    »War das aus Wikipedia?«
    »Ja.«
    »Warum sind Sie hier, Herr Wissmann?«
    »Polizeidirektor Kayser hat mir die dienstliche Anweisung erteilt, mit Ihnen ein Gespräch zu führen.«
    »Ich habe mich unpräzise ausgedrückt. Warum sind Sie Mitglied der SEGI? Was war Ihr Motiv, sich dafür zu bewerben?«
    »Die Aufgabe erschien mir reizvoll. Man hat mir versprochen, dass ich unbegrenzte technische Mittel zur Verfügung haben würde. Man hat mir versprochen, dass ich im Rahmen der Gesetze vollkommene Handlungsfreiheit haben würde.«
    »Und diese Versprechen sind nicht eingehalten worden?«
    »Nein. Mein letzter Investitionsantrag für die Anschaffung eines Parallelrechner-Clusters wurde abgelehnt.«
    Eisenberg nahm sich vor, später nachzuforschen, was das für ein Investitionsantrag gewesen war. Er konnte sich allerdings vorstellen, dass Wissmann nicht das geringste Gefühl dafür besaß, was in einer Polizeibehörde als sinnvoller Rahmen für eine IT-Investition angesehen wurde. Vermutlich hatte er vorgehabt, ein Rechenzentrum einzurichten, um das ihn die Humboldt-Universität beneidet hätte.
    »Sie sprachen davon, dass Ihnen die Aufgabe reizvoll erschien. Welche Aufgabe war das?«
    »Verbrechen zu verhindern.«
    »Sie glauben, Sie können Verbrechen erkennen, bevor Sie geschehen?«
    »Ja.«
    »Wie?«
    »Mustererkennung.«
    »Können Sie das bitte genauer erklären?«
    »Mustererkennung bedeutet, in einer großen Menge von Daten bestimmte Regelmäßigkeiten und Gesetzmäßigkeiten zu erkennen. Daraus kann man dann auf Zusammenhänge schließen, die sich nicht direkt aus den Daten ergeben. Amazon nutzt Mustererkennung, um herauszufinden, welche Musik Sie mögen und welche Bücher Sie gern lesen. Haben Sie das mal ausprobiert? Es funktioniert erstaunlich gut. Wenn Sie dort ein paarmal eingekauft haben, dann weiß der Computer besser als Sie selbst, was Sie als Nächstes kaufen wollen. Nach dem gleichen Muster erkennen Google und Facebook, welche Werbung Sie interessieren wird. Maschinelles Gedankenlesen basiert übrigens auf demselben Prinzip.«
    »Sie behaupten, Sie können Gedanken lesen?«
    »Ich habe nichts dergleichen behauptet. Ich habe lediglich darauf hingewiesen, dass es möglich ist, durch Auswertung der Gehirnströme und Mustererkennung Rückschlüsse auf die Gedanken einer Versuchsperson zu schließen. Wissenschaftler waren bereits in der Lage, Bilder, an die eine Person denkt, sichtbar zu machen, indem sie in einer Datenbank Bilder mit ähnlichen Gehirnstrommustern identifizierten.« Er blickte Eisenberg eine Sekunde lang an und verzog den Mund zu einem