Delete: Thriller (German Edition)
»Lungenkrebs. Hat geraucht wie ein Schlot. Ich war dreizehn. Sie lag da, Schläuche in der Nase, Schläuche am Arm. Da hab ich ein Kichern gehört. Aber es war niemand da. Und plötzlich wusste ich, dass ich auch so daliege, dass ich auch Schläuche in mir habe. Ich konnte sie fühlen.« Er verstummte. Eine Weile saß er schweigend da. Plötzlich sagte er: »Sei still!«
Sie sah ihn verwirrt an.
»Ich … ich habe nichts gesagt!«
»Sei still, habe ich gesagt!« Er sprang auf, presste die Hände auf die Ohren. »Seid still! Alle!«
Mina unterdrückte mit aller Macht die Schluchzer in ihrem Bauch.
35.
Es war kühl. Herbst lag in der Luft. Der Weg rund um die Außenalster war noch voller als sonst, als wollten die Menschen die letzte Gelegenheit bei schönem Wetter nutzen. Eisenbergs Vater drehte sich im Rollstuhl zu ihm um.
»Was bedrückt dich?«
Eisenberg antwortete nicht. Schließlich konnte er schlecht sagen: dein Aussehen.
»Du machst dir doch nicht etwa Sorgen um mich? Ich weiß, ich bin ein bisschen blass um die Nase. Aber ich schwöre dir, das liegt bloß an dem dämlichen Kartoffelsalat gestern. Frau Schmidt ist wirklich eine gute Pflegerin, aber kochen kann sie nicht.«
Eisenberg versuchte, zu lächeln. Sein Vater würde niemals zugeben, dass es ihm nicht gut ging. Das machte es im Grunde nur noch schlimmer.
»Da ist dieser Fall. Eigentlich ist es gar keiner.«
»Ein Fall, der keiner ist? Klingt interessant. Erzähl mir davon.«
Also erzählte Eisenberg, was er wusste.
»Keine Geschädigten? Kein Verdächtiger? Kein Motiv? Du hast recht, das ist kein Fall.«
»Ich habe ein ungutes Gefühl bei der Sache.«
»Das verstehe ich. Aber mit Gefühlen kannst du keinen Prozess gewinnen.«
»Was rätst du mir also?«
»Ich würde dir ja gern raten, die Sache fallen zu lassen und dich auf Handfesteres zu konzentrieren. Aber ich kenne dich. Wenn du dich einmal festgebissen hast, lässt du nicht so leicht los. Deine Stärke wie auch deine Schwäche.«
»Ich bin mir ja selbst unsicher, was ich tun soll. Diese Menschen sind immerhin wirklich verschwunden, zuletzt auch die Frau, die uns auf die Sache aufmerksam gemacht hat. Ich kann mir darauf einfach keinen Reim machen. Leute, die sich augenscheinlich nicht kennen, reden über ein bestimmtes Buch oder den Film, der danach gedreht wurde, und verschwinden anscheinend in der nächsten Sekunde.«
»Und du bist sicher, dass dieser Schriftsteller nichts damit zu tun hat?«
»Ich bin mir über gar nichts mehr sicher. Aber warum hätte er Leute verschwinden lassen sollen? Und wie hätte er das anstellen können?«
»Was weiß ich. Vielleicht ist das ein Werbegag. Heutzutage machen die Leute doch jeden Quatsch, um auf ein Produkt aufmerksam zu machen. Die Zeiten, in denen man einfach bloß Plakate aufgehängt und Reklame im Fernsehen gemacht hat, sind wohl vorbei. Also, dieser Karlsberg schreibt ein Buch über Leute, die spurlos verschwinden, und um es ins Gespräch zu bringen, sucht er sich ein paar Studenten, die für eine Weile untertauchen.«
»Damit würde er sich strafbar machen.«
»Vielleicht weiß er nicht, dass Vortäuschung einer Straftat selbst ein Straftatbestand ist.«
»Möglich. Aber das erscheint mir trotzdem unwahrscheinlich. Er machte mir einen ganz vernünftigen Eindruck. Und Dr. Morani …«
»Die Frau hat dich wohl wirklich beeindruckt.«
»Na ja, ehrlich gesagt bin ich mir auch bei ihr nicht mehr ganz sicher, ob sie wirklich so gut ist, wie ich anfangs dachte. Aber jedenfalls glaubt sie auch, dass er nichts damit zu tun hat.«
»Dann bleibt wohl nur eine logische Erklärung.«
Eisenberg sah seinen Vater erschrocken an.
»Du meinst, dass diese Leute wirklich gelöscht wurden? Hältst du das etwa auch für möglich?«
»Auch?«
»Na ja, meine Leute scheinen das jedenfalls zu glauben, obwohl es keiner zugibt.«
Sein Vater schüttelte den Kopf, als wundere er sich über sich selbst.
»In meinem Alter fängt man an, eine Menge Dinge für möglich zu halten. Wäre es nicht toll, ich würde morgen einfach aufwachen und statt dieses alten, kaputten Körpers einen neuen haben?«
Eisenbergs Kehle schnürte sich zu. Seine Augen brannten. Er wollte irgendetwas sagen, doch er wusste nicht, was.
»Leider bin ich mit einem analytischen Verstand ausgestattet, der mir sagt, dass dergleichen Träumerei und Wunschdenken ist«, fuhr sein Vater fort. »Mein Lieblingsphilosoph Bertrand Russell hat sein Lebensmotto schon mit sechzehn Jahren
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