Delfinarium: Roman (German Edition)
die Menge der Kinderarme weit hinausragte, wie ein überdimensionaler, alles beherrschender Funkturm, der böse Signale in die Welt funkt. Das habe ich ihm nie verziehen.«
»Aber wie kommst du denn darauf, dass es kalte, berechnende Tiere sind?«
»Na ja«, sagt er, »ehrlich gesagt, keine Ahnung.«
»Hm«, mache ich. Ich habe Delfine auch noch nie leiden können. Angst habe ich zwar nicht, aber sie sind mir zu nett, zu glatt, diese Dauerlächler, und allgemein zu beliebt. Sie scheinen den besten Imageberater der Welt zu haben. Ihnen traut man alles Gute zu, und wenn man einen Bösewicht in der Welt des Wassers und der Fischmetaphorik braucht, sind sie fein raus, dann denkt man sofort an Haie. Delfine, die Werbemillionäre, die Streber, die Schleimer der Weltmeere. Fischige Gutmenschen, widerlich.
Susann und ich blicken uns an, Henry ist gerade ins Taxi gestiegen.
Wir stehen auf der Straße, Susann hat die Arme um den Körper geschlungen, es ist ein kühler, grauer Tag. Sie wendet sich ab und geht die paar Meter bis zum Haus. Ich bleibe stehen und sehe erst dem Wagen nach, bei dem die Bremslichter aufleuchten, dann ihr.
Mit meiner Tasche in der Hand habe ich vor einer Stunde an der Haustür geklingelt. Henry hat mir das Haus gezeigt und mich instruiert, worauf ich achten soll. Er hat mir das Ehebett bezogen, sein Bett. Ein komisches Gefühl, in einem fremden Ehebett schlafen zu sollen, in dem ein Kind gezeugt wurde.
Ich gehe nach oben in Henrys Schlafzimmer und packe meine Tasche aus. Ich nehme den Kulturbeutel heraus und trage ihn ins Badezimmer hinüber. Ich stelle fest, dass ich mich unnatürlich leise bewege, ich bin ein Eindringling, ich versuche meine Anwesenheit unter der Schwelle des Wahrnehmbaren zu halten. Ich stehe im Bad und begutachte die Kosmetika, die auf der Ablage, auf dem Schränkchen und auf der Waschmaschine versammelt sind. Ich rieche an Henrys Tabac -Aftershave, jedenfalls nehme ich an, dass es seines ist. Ich öffne leise das Schränkchen und schaue mir Susanns Lippen- und Kajalstifte an.
Anschließend lege ich meinen Pyjama auf das Bett und das Buch, das ich lese, auf den Nachtschrank. Im Schlafzimmer hängen gerahmte Fotografien von Manuel, auch von Susann. Gegenüber dem Bett hängt ein abstraktes Bild, das mich an eine Gruppe autistischer Gurken erinnert, die den Geburtstag ihres Anführers feiern. Ich öffne den Kleiderschrank. Alles ist sehr ordentlich, sauber und aufgeräumt, der Schrank, das Zimmer, das Haus. Ich schiebe die Gardine zur Seite und blicke in den Vorgarten, ich stehe verloren da.
Ich gehe hinunter in die Küche und schaue mir da alles genau an, ich nehme eine teure Pfeffermühle in die Hand, betrachte die selbst gestrickten Topflappen in Form von Schweinegesichtern. Von Susann höre ich nichts, ich vermute sie im Wohnzimmer, aber als ich hinübergehe und mich vor den Fernseher setze, finde ich sie nicht. Später klingelt das Telefon. Es ist nicht mein Anschluss. Ich warte, ob Susann sich rührt.
»Bei Windgassen«, sage ich dann. Komisch, ich komme mir hier in dieser Umgebung jünger vor als sonst. Unangenehm. Unsicher.
»Martin«, sagt Henry, »alles klar?«
Irgendwie ist es gut, seine Stimme zu hören, beruhigend.
Ich liege im Bett, die Hände links und rechts auf der Bettdecke. Ich atme. Das Bettzeug riecht nach fremdem Waschpulver. Vorhin hat sich Susann zu mir ins Wohnzimmer gesetzt. Sie hat mich einmal kurz angelächelt. Ich denke an ihren schlanken, langen Hals, wie ich ihn vorhin heimlich betrachtet habe, immer ein Auge auf dem Fernseher, damit es nicht zu auffällig ist.
Ich habe den Rollladen im Schlafzimmer nicht ganz heruntergelassen, es ist nicht ganz finster im Raum. Durch milchiges Grau kann ich die Umrisse der Rahmen mit den Fotos an der Wand erkennen. Nachmittags habe ich die Fotoalben von Henry und Susann aufgestöbert. In einer Schublade im Wohnzimmer. Susann war oben, und ich war sehr leise. Ich ließ die Schublade offen stehen, ich kauerte auf dem Teppich und hätte das Fotoalbum sofort zurückgleiten lassen, hätte ich von oben etwas vernommen. Es gab die Alben mit gemeinsamen Bildern, Urlaube, was weiß ich wo, eines sah nach Pyrenäen aus, zweisprachige Schilder vor Gebirgsstraßen, dann die Bilder, auf denen Susann schwanger war, da sah sie müde und genervt aus, komisch, Susann so mit dickem Bauch. Die Bilder von der Hochzeit, auf die ich sonderbar reagierte, das wollte ich nicht sehen. Henry noch etwas jünger, nicht ganz so
Weitere Kostenlose Bücher