Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Delfinarium: Roman (German Edition)

Delfinarium: Roman (German Edition)

Titel: Delfinarium: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Weins
Vom Netzwerk:
kleinen, verkrüppelten, hochgezüchteten Obstträger, Funktionsbäume, mickrig von Wuchs, Fruchtstauden, beladen mit rot glänzenden Früchten. Das Gras ist von einem surreal grünen Farbton, als wäre Frühling und man hätte gerade nach dem Winter Pigmente aus dem frisch geöffneten Farbtopf in die Natur gegossen. Ferne sieht man die Linie des Deiches und dahinter schlummert ein braunblauer Fluss mit weißen Hochseedampfern auf dem Bauch. Ich sehe Susanns Rücken in dem weißen Kleid an, ihr weißer Schal weht, verhakt sich in den Ästen. Sie hält den breitkrempigen Hut auf dem Kopf mit einer Hand fest, und trotzdem wehen die Locken, mit der anderen streift sie beiläufig die Äste links. Es ist die erotischste Berührung, die ich mir vorstellen kann. Als würden beim Kontakt der Haut mit dem Baum Funken schlagen. Susann, höre ich mich sagen. Mein Gefühl ist, dass ich mich tagelang in dir aufhalten könnte. Ich sage es, aber meine Stimme erreicht sie nie. Die Worte sind zu leise gesprochen. Ich müsste nichts weiter tun, sage ich, und du auch nicht. Du würdest nur daliegen, die Beine angewinkelt, und mich aufnehmen. Ich wäre in dir und keiner von uns wollte sich bewegen. Ab und zu küssen, deine Brust in meinem Mund, deine Hand auf meiner Brust. Und ab und zu eine minimale Bewegung. Hier im Apfelhain soll es sein, hier im Gras, wo der Wind Laub über uns weht, wochenlang würden wir liegen, und irgendwann würde ich kommen wie eine Schnecke im Schneeurlaub, träge und leise, es würde mich beinahe stören, aber es wäre von einer Intensität wie eine Komposition aus Leim, die ein Laubfrosch auf einer Nebelharfe spielt. Und du würdest niemals kommen, du würdest weinen, zum Zerreißen angespannt unter dem Druck meines Leibes, du würdest seufzen, und wie beim russischen Roulette wüsstest du, dass einer von uns stirbt, sterben muss bei so viel Intensität.
    Das alles sage ich und weiß, dass es nicht meine Worte sind, die in den Wind geblasen sind, nicht die eines 20-Jährigen, auch du weißt das, als du dich umdrehst und mich anlachst, deine Lippen offen, glänzend kann ich deine Zunge sehen. Du bleibst stehen, dein Haar verwirrt sich unter dem Hut, treibt nach links und schmiegt sich um einen Ast wie eine kleine Würgeschlange. Du schaust mich aus brennend schwarzen Augen an, nichts als Pupille, du sagst etwas und es brennt sich in meine Ohren, ich kann die Flüssigkeit fühlen, die aus meinen Ohren läuft und meinen Hals hinabrinnt. Komm, kleiner Vogel, ich bin ein Nest für dich. Und dann hast du mich in der Hand, du drückst zu und mir vergehen die Sinne.
     
    Es klingelt an der Tür.
    Ich schaue durch das geriffelte Glas und finde es sonderbar, diese Tür zu öffnen. Es steht mir nicht zu. Ich bin nicht der Hausherr. Auf der anderen Seite steht ein Mann Anfang oder Mitte dreißig. Er ist etwas größer als ich, seine Haare sind braun, er hat graue Augen und schaut mich durchdringend an, als ich die Tür geöffnet habe. Er trägt eine graue Anzughose, eine graublaue Lederjacke und darunter ein schwarzes Sweatshirt, Turnschuhe an den Füßen. Verstrubbelte Haare.
    Der Mann aus dem Tierpark, kein Zweifel. Der Mann, der an Susann herumgerüttelt hat.
    »Ja?«, frage ich.
    »Ich glaube, du hast etwas, das mir gehört«, sagt er.
    »Das glaube ich kaum«, sage ich.
    »Darf ich hereinkommen?«, fragt er und legt den Kopf schief.
    Ich komme mir vor wie die sieben Geißlein im Märchen, der Wolf steht vor der Tür und die Mutter ist auf den Markt gegangen.
    »Nein«, sage ich. »Was wollen Sie?«
    »Ich will meine Frau«, sagt er.
    »Sie müssen sich irren«, sage ich, »Sie verwechseln die Tür.«
    »Nein«, sagt er, »bestimmt nicht.«
    »Nein?«, frage ich.
    »Nein. Ich habe dich schon oft beobachtet, wie du mit meiner Frau durch die Gegend ziehst. Ich weiß, dass der andere Typ weggefahren ist, du bist jetzt alleine mit meiner Frau, deshalb bin ich da, um sie zurückzuholen. Ich weiß, dass du alleine bist.«
    »Ich rufe die Polizei«, sage ich.
    »Schön«, sagt er. »Dann sollen die das klären. Ihr seid die Entführer.«
    Ich sehe ihn bloß an. Wie macht er das, er wirkt so sicher?
    »Willst du mich nicht reinlassen?«, fragt er.
    »Nein«, sage ich und meine nein, »ich will Sie nicht hereinlassen.« Ich stelle es mir vor, ich auf Henrys Platz im Freischwinger, er auf meinem Sofa, und ich gehe hinüber in die Küche und hole Dosenbier.
    »Nein«, sage ich.
    »Du brauchst keine Angst vor mir zu haben«,

Weitere Kostenlose Bücher