Delfinarium: Roman (German Edition)
jungen Menschen, täte mir gut. Dabei mag ich keine hippen jungen Menschen, sie machen mir Angst. Wir hatten Bier aus braunen Flaschen auf der Hafentreppe getrunken, neben uns Trainingsjackenträger und Menschen mit Dreadlocks und Wollmützen, wir hatten den Reflektionen der Werftlampen auf dem schwarzen Rücken des Flusses zugesehen, drüben die Docks mit einem blauen Frachter in Arbeit. Das orange Hafenlicht auf den dunklen Schleppen der Wellen. Petra kommt eh besser klar mit der Stadt als ich. Ich bin der Dorfdepp von uns beiden.
Einmal hatte sie mich zu einer Aktion in der Innenstadt mitnehmen wollen, zu der sich wildfremde Menschen im Internet verabredet hatten. Zu einer bestimmten Uhrzeit spannten zahllose einander unbekannte Menschen an einem strahlenden Sonnentag scheinbar spontan vor einem großen Kaufhaus wie ferngesteuert ihre Regenschirme auf, Muttis, Rentner, junge Menschen. Ein Symbol gegen Massenkonsum und Globalisierung, nehme ich an. Die Idee fand ich reizvoll, aber ich hatte trotzdem nicht mitgewollt. Und einmal kehrte sie mit einer aufgeschürften Wange von einem Sonntagsspaziergang gegen den Rechts-Senat zurück und erzählte voller Stolz, dass sogar ein Zivilpolizist von seinen uniformierten Kollegen aus einem anderen Bundesland verprügelt worden war. Sie nahm an irgendwelchen autonomen Politgruppen teil. Sie erzählte mir davon, aber ich wollte mir die genauen Umstände nicht merken.
Dann nahmen wir die letzte Fähre von den Landungsbrücken. Petra sagte mir, dass sie drüben zu Hause noch kiffen wolle mit mir am Strand, ein neues Hobby von ihr. Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte. Eine Phase vermutlich. Sie hatte bei den Hafenstraßenhäusern Gras im Plastikbeutel von einem Schwarzen gekauft, was mir unangenehm gewesen war, Zivilfahnder überall, hatte ich gedacht. Wir standen an Deck der Finkenwerderfähre und starrten ins braun aufgewühlte Wasser, Wind in den Haaren, rings um uns riesige schwarze Weite. Es gibt nichts Besseres, als so eine Fahrt nachts auf dem Fluss. Langsam schoben wir uns Richtung Mündung. Rechts der pfeffersackbewohnte Hügel Blankeneses, ein warmer Lichterregen in der Nacht, links die riesigen Hallen von Airbus, auf die wir uns zu bewegten. Und ich passte nicht genau auf, was ich sagte, ich hatte Bier getrunken.
»Irgendwie finde ich es auch schön«, sagte ich. »So groß, fast erhaben.«
»Was findest du schön und erhaben?«
»Das Airbus-Gelände, die Werkshallen. Das ist doch eine beeindruckende Architektur, imposant, richtig schön finde ich das.«
»Bist du jetzt unter die Leni-Riefenstahl-Anhänger gegangen, oder was? Die Olympiade von 1936 hättest du auch schön gefunden oder wie?«
»Vermutlich«, sagte ich lächelnd in die Nacht.
»Ja, du freust dich, wenn dir Airbus hier ein kleines Germania vor die Tür setzt, und dafür bloß ein winziges Naturschutzgebiet, in seiner Art einzigartig in Europa, weichen muss, nur ein winziger, unersetzlicher Lebensraum für vom Aussterben bedrohte Pflanzen, Fische und Vögel.«
Petra zog streng die Augenbraue hoch, aber dann musste sie doch grinsen. Ich sagte nichts, ich lächelte bloß. Ich hätte sagen können, dass das Mühlenberger Loch, um das es in der Auseinandersetzung auch ging, in den dreißiger Jahren erst von den Nazis geschaffen worden war, durch gigantische Ausbaggerungen, dass es da um Messerschmidt-Bölkow-Blohm gegangen sei, dass das Mühlenberger Loch also streng genommen gar keine natürliche Landschaft war, sondern auch eine Kulturlandschaft, Folge eines industriellen Eingriffs, das hatte ich gelesen. Aber das wusste sie selbst besser als ich. Und sie hätte gesagt, dass das überhaupt kein Argument sei, weil sich so nun einmal ein einzigartiges Süßwasserwatt habe entwickeln können, wie es in Europa kaum ein Zweites gebe. Und ich wusste, dass sie mit allem, was sie sagte, immer einmal mehr recht haben würde als ich und dass sie trotzdem schön aussahen, diese gewaltigen, schimmernden Metallhallen in der Nacht, beschienen von Sechstausend-Watt-Scheinwerfern, gigantisch.
Danach hatten wir uns einen Platz am Strand gesucht, nahe der Estemündung, ein kleines, verstecktes Stück Sandstrand, das Mühlenberger Loch vor uns, das tagsüber professionell zugeschüttet wurde, gegenüber das Lichtgeschimmer und Flickern der Kapitänshügelhäuser von Blankenese. Ab und zu schob sich schwarz ein Schiffsschatten vor uns vorbei. Petra bastelte uns einen Joint zurecht, es sah nicht kunstfertig
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