Delfinarium: Roman (German Edition)
betreue, was ist dann mit Henry? Ich glaube nicht, dass Henry mich die ganze Zeit belogen hat. Ich glaube nicht, dass er ein Lügner ist. Ich glaube seine Geschichte. Ich habe ja das Haus und die Fotos gesehen. Ich glaube daran, dass Susann Susann ist.«
Aber dann denke ich, dass Henry mir nichts vom Erscheinen der Polizei erzählt hat.
»Ich weiß es nicht«, sagt Max Braun und ich kann in seinen Augen lesen, dass er es wirklich nicht weiß. »Wir müssen es herausfinden.«
Wir gucken nachdenklich vor uns hin.
»Eine Sache will ich dir sagen«, sagt er, »die du leicht nachprüfen kannst. Marie hat ein charakteristisches Muttermal auf dem Rücken, fast schon auf dem Steiß. Es ist so groß wie ein Euro, es ist rotbraun und erhaben, es ist nicht kreisrund, sondern an den Rändern zerfasert.«
»Okay«, sage ich, »aber selbst wenn es so ist, bedeutet das wenig. Wenn sie dieses Muttermal besitzt, heißt das in erster Linie, dass Sie von diesem Muttermal wissen, das ist dann bewiesen, mehr nicht.«
Ich nicke und komme mir schlau vor. »Das ist etwas dünn«, sage ich.
»Außerdem hat Marie eine Tätowierung auf dem Schulterblatt, ein Stück Stacheldraht.«
»Aha«, sage ich. »Welche Schulter?«
»Links.«
»Okay«, sage ich. »Ich prüfe das irgendwie nach.«
Ich denke daran, wie ich Susann bitten werde, sich zu entkleiden, damit ich sie auf unverwechselbare Merkmale hin untersuchen kann. Ich bin mir nicht sicher, ob es irgendetwas beweisen würde oder bedeutet, wenn ich Stacheldraht und Muttermal finde. Soll ich Henry anrufen und fragen, ob Susann ein Muttermal und eine Tätowierung besitzt? Was ist, wenn er Nein sagt und ich sie später trotzdem finde? Wäre dann etwas bewiesen?
Kann ich Henry vertrauen? Daran habe ich bislang nie gezweifelt.
Ich überlege, wann Susann ins Koma gefallen ist. Vielleicht ist es der Tag, an dem Max’ Frau verschwunden ist. Ich würde gerne mit Petra darüber reden. Ich würde gerne die Daten vergleichen. Ich würde gerne eine Konferenz einberufen mit allen Beteiligten. Verwirrend, das Ganze.
»Und jetzt?«, frage ich.
»Lass mich mit ihr reden.«
»Okay«, sage ich, »zu meinen Bedingungen.«
Ein kleiner Junge krallt sich in die Maschen des Giraffenzaunes, seine Mutter versucht ihn fortzuziehen, aber der Junge will nicht.
Es ist nicht wirklich ein Plan. Ich habe gar nicht die Zeit, einen Plan zu entwickeln. Es ist mehr eine dumme Idee. Aus dem Bauch heraus, ich weiß nicht, wieso. Ich habe den Mann nach seiner Handynummer gefragt und gesagt, wir würden uns melden, wir, habe ich gesagt, um Zeitpunkt und Ort bekannt zu geben. Ich musste lächeln dabei, jetzt bin ich endgültig im Krimi. Als ich zurück ins Haus trete, scheint es verlassen, ich rufe erst Petras Namen, dann Susanns, aber ich bekomme keine Antwort. Ich finde die beiden im Garten, auf dem Rasen sitzend, einträchtig nebeneinander. Ich stehe eine Weile still hinter ihnen und schaue mir das Bild an. Sie sitzen Schulter an Schulter nebeneinander, verrückt und schön. Dann setze ich mich links neben Susann.
Ich erzähle Petra, was ich vorhabe und sie schaut mich mit zusammengekniffenen Augen an.
»Du spinnst«, sagt sie.
»Wir haben noch drei Tage Zeit«, sage ich. »Bis dahin ruft er bloß an und dann sind wir eben nicht da. Außerdem kann ich ihm ja zuvorkommen, ich habe seine Handynummer.«
»Wieso?«, fragt Petra. »Was soll das Ganze, was versprichst du dir davon?«
Und das kann ich mir eben selbst schlecht erklären.
Ich glaube, dass irgendetwas dran ist an seiner Geschichte. Ich habe keine Ahnung, wer die Frau auf den Fotos ist. Ich weiß nicht, was es bedeutet. Aber vielleicht kann ich es herausfinden. Die Frau auf den Fotos sah identisch aus, nicht bloß wie irgendeine schlecht hinfrisierte Doppelgängerin. Es ist ein Rätsel. Ich möchte mehr Fotos sehen. Und ich möchte sehen, wie Susann auf ihn und die Umgebung reagiert. Vielleicht will ich auch nur, dass irgendetwas passiert, sie kann ja nicht ewig schweigen. Ich will in Bewegung kommen mit ihr.
So etwas in der Art sage ich zu Petra. Und zu meinem Erstaunen akzeptiert sie es.
Sie sagt: »Gut, ich bleibe hier und halte dir den Rücken frei. Ich sorge dafür, dass sie dir nicht auf die Spur kommen, ich halte sie hin und beruhige sie. Ich kümmere mich um deinen Vater, keine Sorge. Und du löst gefälligst dieses Rätsel, Sherlock.«
Dann lasse ich die beiden auf dem Rasen sitzen, sie scheinen sich bestens zu verstehen. Auf Henrys Schrank
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