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Delfinarium: Roman (German Edition)

Delfinarium: Roman (German Edition)

Titel: Delfinarium: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Weins
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Ich denke an eine Zeit, als es hier noch Wachtürme gab und dies nicht einfach nur ein Fluss war, sondern ein Wasser gewordener Minengürtel. Niemandsland, komischer Begriff. Lauenburg war hübsch, eine kleine, gedrängte, rote Backsteinstadt.
    Wir fahren unter dem Dach der ersten Allee, links und rechts Kornfelder, sanfte Hügel. Rechts steht meilenweit allein ein Haus aus Backstein, nach vorne grau verputzt. Vor dem Haus liegt ein Hund im Staub, er hat einen Fisch zwischen den Zähnen, zerrt an ihm. Aus dem Garten links vom Haus flattert uns karierte Wäsche an der Leine hinterher. Vor dem Haus steht ein Lattenzaun. Der Zaun ist abwechselnd ocker und eierschalenweiß bemalt, die Ziegel vom Haus sind grellrot. Wir fahren nach Osten und es liegt nicht an mir, wohin die Reise geht und wie lange sie dauert. Vielleicht hört sie niemals auf, vielleicht geht es immer weiter, Polen, Ukraine, Russland, Mongolei. Vielleicht kehren wir niemals nach Hause zurück. Ich kann tun und lassen, was ich will. Ich schaue Susann an, sie hat die Augen geschlossen, ich lächele. Um uns brachliegende Felder, blühender Mohn, Kornblumen.
     
    Es kann sein, dass ich kurz nicht aufgepasst habe. Aber ich glaube nicht, dass ich eingeschlafen bin. Susann hatte die Augen geschlossen, jetzt schaut sie mich erschrocken aus weit aufgerissenen Augen an. Sie fasst sich in die Haare, wischt sich über die Augen. »Ich habe nicht geschlafen«, sage ich. Ich sehe noch die Rücklichter des roten Passats, monoton einhundert Meter vor mir. Dann machte es rums, und jetzt bin ich von der Straße abgekommen und hänge schief in einem Straßengraben. Die Räder greifen nicht mehr. Blöd. Ich fühle mich wie ein Anfänger.
    »Es tut mir leid«, sage ich. »Bleib bitte sitzen.«
    Ich versuche, den Wagen, der mit zwei Rädern im Graben hängt, zurück auf die Fahrbahn zu schieben. Es geht nicht, er ist zu schwer. Alles, was passiert, ist, dass meine Schuhe schmutzig werden im Matsch. Es ist unangenehm, eine Woge der Verzweiflung rollt durch meinen Körper, Schwäche, ein widerliches Gefühl breitet sich aus. Ich bekomme Lust, mich neben den Wagen in den Matsch zu kauern. Ich bin so bescheuert. Wir stehen in einem Waldstück, das Laub der Bäume ist dunkelgrün, der Himmel darüber tiefgrau, eben hat es kurz geregnet. Die Autos rauschen in beide Richtungen an uns vorbei. Ab und zu trifft mich ein Tropfen von den Blättern über mir. Ich setze mich zurück ins Auto, überlege, was ich tun soll. Max in seinem Passat ist uneinholbar weit weg. Ich könnte Petra anrufen und mich mit ihr beraten. Ich könnte den ADAC anrufen, aber dann muss ich Mitglied werden unter meinem Namen. Ich könnte meinen Vater anrufen. Ein Hupen schreckt mich aus meinen Gedanken, hinter mir parkt ein weißer Lieferwagen, zwei Männer mit Sonnenbrillen steigen aus. Sie kommen an mein Seitenfenster. Sie tragen Lübzer-Pils -T-Shirts, jetzt ist auch eine Frau ausgestiegen, auch sie trägt Lübzer Pils.
    »Wir können Sie da rausschleppen«, lacht der eine Sonnenbrillenmann, er lacht Susann durch das Fenster an.
    »Das wäre nett«, sage ich.
    »Wie lange stehen Sie denn schon hier?«, fragt der Mann.
    »Noch gar nicht lange«, sage ich.
    »Nicht aufgepasst, wie?«, grinst der andere Brillenmann.
    Ich bin ausgestiegen, der Lieferwagen trägt ein Lübzer-Pils -Logo an der Seite und auf der Motorhaube.
    »Abgelenkt gewesen, wie?«, grinst der zweite Mann.
    »Ha«, sage ich, und ich weiß nicht, was das für eine Antwort sein soll. Aber die Lübzerfrau lächelt mir zu. Sie fahren den Wagen vor mein Auto, befestigen ein Abschleppseil an dem dafür vorgesehenen Metallring.
    »Danke«, sage ich, als die Sache erledigt ist. »Ich weiß nicht, was ich ohne Sie gemacht hätte. Wollen Sie Geld?«
    »Quatsch«, sagt die Frau. »Trinken Sie später ein Pils auf uns!«
    Die drei lachen.
    »Das mache ich«, sage ich.
    Wir winken uns zum Abschied zu, nur Susann nicht. Sie lächelt, als ich wieder mit ihr alleine bin.
    »Was war das?«, sage ich.
    Bei der nächsten Tankstelle kaufe ich eine Karte von Ostdeutschland. Das nächste Örtchen, durch das wir kommen, heißt Pritzier, viel roter Backstein, viel graue Fassaden. Ich parke den Wagen außerhalb des Ortes vor einem Kornfeld, Roggen, glaube ich, aber ich kenne mich nicht so gut aus mit Kornmarken. In der Ferne wühlt sich ein Traktor über das Feld und produziert eine Wolke, die intensiv zu uns herüber duftet, ich mag den Geruch. Ich bin ausgestiegen, ich

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