Delfinarium: Roman (German Edition)
nachdenken.«
Ich sage: »Du bist einer der drei wichtigsten Menschen für mich.«
»Ich weiß«, sagt sie.
»Okay«, sage ich. »Ich komm schon klar.«
Ich sitze da und das Zimmer ist ein schwarzer Mantel, der sich um meine Schultern legt.
Damit ist der Moment gekommen, an dem ich es mir eingestehen muss. Susann ist für mich Marie geworden. Ich kann keinen Unterschied mehr ausmachen. Sie bewegt sich viel natürlicher als in der Stadt bei Henry. Drei Tage sind vergangen und morgen wird er zurück sein. Ich bin so ratlos wie zuvor, nur dass Susann mittlerweile Marie geworden ist. Sie ist nicht mehr die Frau von Henry. Sie ist nicht mehr die Frau, mit der ich im Motel gewesen bin. Ich habe keine Ahnung, was ich mit der Situation anfangen soll. Ich habe sie nie besessen und trotzdem habe ich sie verloren. Ich habe hier nichts mehr zu suchen. Ich könnte sie ins Auto setzen und immer weiter mit ihr Richtung Osten fahren. Jeden Abend würde ich sie ausziehen und sie für meine Zwecke benutzen. Ich kann sie nicht zu Henry zurückbringen. Mit welchem Recht?
Ich habe nicht überprüft, ob sie ein Muttermal auf dem Rücken besitzt und eine Tätowierung auf der Schulter. Dazu bin ich irgendwie nicht gekommen.
Also packe ich meine Tasche. Es ist noch sehr früh. Die beiden schlafen noch, als ich aus dem Haus schleiche. Als ich ins Auto steige, schaut mich der schwarze Hund aus tiefen, dunklen Augen an. Plötzlich ist er wieder da, sitzt neben einem Holunderbusch am Rand des Weges. Wo soll ich hin? Ich kann nicht zurück. Was soll ich Henry sagen? Es geht nicht. Es gibt keinen Ort für mich.
16. Lesender Klosterschüler
Henry ist zurück. Er schließt die Tür auf, stellt die Reisetasche ab, tritt in den Flur, atmet die vertraute Luft ein. Kein Haus auf der Welt, das so wie sein eigenes riecht. Man muss es verlassen haben, um es riechen zu können. Es ist sehr still, aber das ist nicht ungewöhnlich. »Susann?«, ruft er. Er schüttelt den Kopf über sich, lächelt, weil er doch gehofft hat, dass ihre Stimme sich meldet wie früher, etwas widerwillig von oben. Henry erschrickt, weil ihm auf einmal aufgeht, dass er vergessen hat, wie ihre Stimme klingt. Sie war eher tief, versucht er sich zu erinnern, aber den genauen Klang hat er nicht mehr im Ohr. Die Erkenntnis ärgert ihn, doch dann schüttelt er sie ab. Er schaut ins Wohnzimmer. »Martin?«, ruft er, aber ich antworte nicht. Er erklärt es sich so, dass wir noch unterwegs sind, der Wagen steht ja auch nicht vor der Tür, wir machen also einen Ausflug. Er bringt seine Tasche nach oben, schaut sich sein gut aufgeräumtes Haus an. Vielleicht stutzt er kurz, weil die Stille zu tief ist, eine seit Tagen ungestörte Stille, er spürt das intuitiv, er kann es hören, eine Nuance zu viel an Tiefe. Der Staub zu lange nicht durcheinandergewirbelt. Er räumt seine Tasche aus, dann setzt er sich ins Wohnzimmer und macht den Fernseher an, er wartet.
Wie lange dauert es, frage ich mich, bis ihm aufgeht, dass etwas nicht mit rechten Dingen zugeht?
Ich befinde mich auf einer Landstraße, links und rechts von Bäumen bestanden, einer Allee Richtung Norden. Ich kaue an den Fingernägeln meiner rechten Hand, sie sind schon ganz kurz gekaut, fleischkurz. Ich frage mich, ob es richtig war, Susann oder Marie bei Max gelassen zu haben oder ob ich umkehren muss. Ich frage mich, was er jetzt mit ihr anstellt, da ich nicht mehr in der Nähe bin, um auf sie aufzupassen. Dann denke ich wieder an Henry, der nach Hause zurückgekehrt ist und vor seinem Fernseher sitzt und wartet. Das kann nicht lange gut gehen. Dann wieder sage ich mir: Das geht dich alles nichts an, Daniel, das ist nicht deine Geschichte, mach, dass du fortkommst, du hast dich schon viel zu lange mit dieser Sache beschäftigt, das führt doch zu nichts.
Irgendwann wird Henry nervös werden. Dann wählt er meine Telefonnummer. Mein Vater geht an den Apparat.
»Martin«, sagt mein Vater.
Nachdem alle Namensmodalitäten geklärt sind, wundern sich die beiden, wo wir stecken, mein Vater geht davon aus, dass ich bis eben noch ordentlich aufgepasst habe. Die beiden verabreden, dass sie sich jeweils sofort melden, wenn sie etwas von mir oder von Susann gehört haben. Henry legt auf, Zweifel an meiner Verlässlichkeit beschleichen ihn. Warum hat er mir einen verkehrten Namen gesagt, fragt er sich. Und wo ist der Kerl jetzt mit meiner Frau? Henry verbringt eine schlaflose Nacht. Am nächsten Morgen ruft er meinen Vater
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