Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Delfinarium: Roman (German Edition)

Delfinarium: Roman (German Edition)

Titel: Delfinarium: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Weins
Vom Netzwerk:
das Baltikum und von dort ginge es immer weiter bis nach Russland. Wie bei Raumschiff Enterprise : Unendliche Weiten. Ein Typ wie ich braucht dafür noch nicht einmal ein Weltall, da reicht schon die Ostsee. Ich stehe hier, und hier ist der Punkt, an dem sich die Welt nach Osten öffnet.
    Als es Nachmittag wird, gehe ich zu Fuß in den Ort, um mir eine Schlafgelegenheit zu suchen. Ich betrete eine Pension, die Weitblick heißt, das gefällt mir.
    Ich lege meinen Ausweis vor, als hätte ich mittlerweile Routine darin. »Martin Daniel«, sage ich. »Guten Tag.« Ich schaue der Frau hinterm Tresen nicht in die Augen. Gerade ist es mir egal, ob sie mich schon suchen, ob mich irgendjemand sucht oder vermisst.
     
    Abends gehe ich noch einmal an den Strand, es ist noch hell. Ich trete auf die große Mole, den großen Anleger, der weit ins Meer hineinreicht. Ich gehe bis zum Ende, umgeben von grünen, formschönen Wellen, in der Ferne kann man eine sandfarbene Steilküste sehen, vom verschwindenden Licht beschienen. Das Wasser um mich herum ist ein großer, grüner, lebendiger, atmender Organismus. Durchsichtige Quallen wogen in dem Grün herum, sie lassen sich tragen und herumschaukeln wie Kinder auf den Armen ihrer Eltern.
    Hier werde ich mich verlieren, beschließe ich.
    Später liege ich in Laken, die sich kalt und glatt und zu neu oder zu gut gewaschen anfühlen.

17. Schade
    Ich lege meine Sachen auf das Transportband. Etwas zu trinken, Fertigcroissants in einer Plastiktüte, eine überregionale Tageszeitung.
    »Du bist nicht von hier«, sagt das Kassenmädchen, als ich an der Reihe bin. Der kleine Supermarkt ist fast leer. Es gibt nur eine Kasse. Eine alte Frau wartet hinter mir. Über der Kasse hängt ein Spiegel, in dem man den ganzen Laden überblicken kann, die Miniaturmilchtheke, den Alkoholbereich. Sie guckt nicht zu mir hoch, als sie es sagt. Sie kaut Kaugummi und liest sich die Schlagzeilen auf der Titelseite meiner Zeitung durch.
    »Nein«, sage ich und blicke auf ihren rotblonden Seitenscheitel herunter. »Habe ich ja auch nicht behauptet, oder?«
    Erdbeerblond sagt man zu solchen Haaren. Sie hebt ihr Gesicht jetzt doch und tut, als würde sie lächeln. Sie kneift die Augen künstlich zusammen. Ich kann die Augenfarbe nicht erkennen, blau oder grün. Mir fällt auf, dass sie einen enorm breiten Mund hat. Er sieht schon in geschlossenem Zustand imposant aus. Sie trägt einen hellblauen Kittel mit einem Namensschild darauf, darunter ein ärmelloses Top. Es sieht aus, als würde sie nur den Kittel tragen. Auf dem Namensschild steht: Frl. Schade.
    »Musst dir ja nicht gleich was drauf einbilden«, sagt sie. »So selten ist das hier ja nun auch nicht, ist‘n Ferienort hier, weißt du.«
    »Ist mir schon aufgefallen«, sage ich und grinse.
    Sie grinst zurück und macht eine Kopfbewegung, damit ihr die Haare aus dem Gesicht fliegen. Ich weiß nicht, ob dieses Lächeln echt ist. Sie hält die Tüte mit meinen Croissants in der Hand, als wolle sie sie nicht mehr loslassen. Ich hätte gerne, dass sie mal den Mund aufmacht und mir zeigt, wie breit er wirklich ist. Aber ich kann sie wohl schlecht darum bitten. Die alte Frau hinter mir in der Schlange schnaubt genervt.
    »Ist das dein echter Name?« frage ich. »Fräulein Schade?«
    »Aber klar«, sagt sie mit einem routinierten Gesichtsausdruck, vermutlich wird sie jeden Tag dreimal von Touristen danach gefragt. »Ist der Mädchenname meiner Mutter, ich kann also streng genommen nichts dafür.«
    »Schön«, sage ich.
    »Schön bescheuert«, sagt sie. »Bleibst du länger?«
    »Mal sehen«, sage ich.
    »Bist du alleine da?«
    »Äh, ja.«
    »Wollen wir uns später sehen?«
    Die Oma hinter mir seufzt, traut sich aber nicht, etwas zu sagen. Schade holt den Kaugummi aus ihrem Mund. Dabei hält sie ihn länger offen und lässt mich einen Blick auf ihre Zunge werfen. Sie hat ein Zungenpiercing. Sie nimmt den Kaugummi und klebt ihn unterhalb der Kasse gegen die Wand. Ich kann nicht sehen, wohin, vermutlich befindet sich dort schon ein Kaugummimassengrab, eine echte Erhebung.
    »Klar«, sage diesmal ich.
    »Du kannst mich abholen, wenn ich Schluss hab«, sagt sie. »Um sechs.«
    »Okay«, sage ich und lächle. »Ich bin da. Was bekommst du?«
    Sie guckt mich verständnislos an. Ich zeige auf die Dinge, die ich kaufen will. Sie folgt meinem Blick und guckt, als wäre es ein echtes Wunder, das sich etwas auf ihrem Förderband niedergelassen hat.
    »Lass man gut sein«, sagt

Weitere Kostenlose Bücher