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Delfinarium: Roman (German Edition)

Delfinarium: Roman (German Edition)

Titel: Delfinarium: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Weins
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bezogen. Max stellt die Kerze für mich auf einen Nachtschrank.
    »Falls du nachts mal rausmusst. Aber du hast auch das hier.«
    Mit dem Fuß berührt er einen alten Emaille-Nachttopf.
    »Gute Nacht«, sagt er.
    »Wo schläft denn eigentlich Susann?«, frage ich.
    »Marie«, sagt er.
    »Wo schläft sie?«
    »Es gibt unten noch ein Zimmer, das Kinder-, das Gästezimmer«, sagt er. »Keine Angst, sie schläft nicht bei mir in meinem Bett.«
    Dann höre ich seine stapfenden Schritte sich auf dem dunklen Dachboden entfernen. Ich puste meine Kerze aus. Das Licht einer Laterne über der Kopfsteinpflasterstraße wäscht den Raum mit milchigem Licht aus.
    Ich liege da und komme zum ersten Mal an diesem Tag dazu, daran zu denken, wie ich vor einer Nacht mit ihr in einem Motelbett gelegen habe. Ich warte eine Stunde, bis ich sicher bin, dass alle Bewohner des Hauses schlafen. Dann schleicht sich der Teil von mir, den ich beschlossen habe Martin zu nennen, in das dunkle Haus hinunter, um den Ort zu suchen, an dem Susann oder Marie zur Ruhe gebettet ist.

15. Saltkrokan
    Ich unternehme Spaziergänge um den See und in den Wald hinein. Ich sitze am See mit den Füßen im Wasser. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich mich um Susann kümmern muss, sie beaufsichtigen. Sie hantiert in der Küche, schlendert um das Haus oder sitzt auf einem Stuhl in der Sonne und raucht Zigaretten, die sie aus dem Päckchen von Max auf der Küchenfensterbank nimmt. Und Max verbringt seine Zeit im Arbeitszimmer von Marie. Immer wieder kommt er in die Küche, setzt sich an den großen Tisch, um eine Zigarette zu rauchen. Dann schaut er sie mit ruhigem Gesicht an, tiefe Züge nehmend, Susann oder Marie. Mittags treffen wir uns zum Essen in der Küche, nachmittags trinken wir Kaffee auf der Veranda, abends belegen wir uns Brote mit Tomate und Gurke frisch aus dem Garten. Ich bekomme das Gefühl, schon viel länger hier zu sein. Ich sitze im Hof auf dem Rasen mit nackten Füßen in der Sonne und lese wieder Moby Dick, das ich im Bücherschrank gefunden habe, eine sozialistische Ausgabe. Im Nachwort wird erklärt, warum der Walfang eine sozialistische Metapher ist. Ich bekomme das Gefühl, hierher- und dazuzugehören. Wir sind wie eine Familie, und ich genieße es. Ich hinterfrage es nicht, es fühlt sich leicht an, obwohl ich weiß, dass es ein endlicher Zustand ist. Nur ein Tag noch, dann wird Henry zurück in sein Haus kommen, in sein Haus ohne Susann und ohne mich.
     
    Ich schaukle auf einer alten Hollywoodschaukel. Max sitzt vor mir auf einem Hocker mit einem Becher Kaffee in der Hand.
    »Vergiss es«, sage ich. »So kommen wir nicht weiter. Es beweist nichts.«
    »Na ja«, sagt er. »Du brauchst ja bloß nachzusehen, ob sie das Muttermal und die Tätowierungen hat. Ich habe das gemacht.«
    »Hast du?«
    »Klar.«
    »Wann das denn und wie?«
    Max Braun grinst.
    »Und?«, frage ich.
    »Alles wie es sein soll, wie ich es gesagt habe.«
    »Das glaube ich nicht«, sage ich.
    »Dann guck doch selber.«
    »Das beweist nichts.«
    »Für mich schon.«
    »Hm«, sage ich. »So kommen wir nicht weiter.«
    »Lass uns etwas ausprobieren«, sagt er.
     
    Wir stehen auf einem Sandweg unter den Wipfeln hoher Kiefern, die über dem Weg im Wind die Kronen wiegen. Links und rechts beginnen Hügel, die sich scheinbar endlos hinziehen. Auf den Hügeln wachsen Kiefern, zwischen den Kiefern wächst Gras. Der Sandweg zerschneidet diese Landschaft wie ein gelbes Band, ein gelber Schnitt. An den Stämmen der Kiefern kann man die diagonalen Einschnitte erkennen, unter denen die Glastöpfchen befestigt waren. Aus dem Kiefernharz wurde in der DDR Kunststoff hergestellt. Das hat Max mir erklärt. Der Wind rauscht und knackt durch die mächtigen Kronen der Kiefern, der Himmel hat sich zugezogen. Unter grauen Schemen bewegen sich die Kiefernkronen wogend von links nach rechts und zurück. Max bewegt sich mit hängendem Kopf und trottenden Schritten fort in Richtung des Dorfes, fort von Marie und mir. Mir hat er dasselbe aufgetragen, ich soll mich wegbewegen, in die andere Richtung, 50 Meter weit, bis Susann alleine in der Mitte zwischen uns zurückbleibt. Ich schaue ihm hinterher, wie er sich entfernt, ich seufze. Ich höre mich seufzen, sonst ist nur das Rauschen des Windes in den Kiefern zu hören. Ich schüttle den Kopf, dann drehe ich mich um und gehe. Es kommt mir lächerlich vor, als wäre dies ein Duell mit weichen Waffen, mit Waffen aus Psychologie statt aus Metall. Ich drehe

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